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Medienreflexion im Film. Ein Handbuch HERAUSGEGEBEN VON KAY KIRCHMANN UND JENS RUCHATZ Unter Mitarbeit von Boris Goesl und Peter Podrez [transcript] Gefördert durch die Dr. German Schweiger-Stiftung an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg und den Universitätsbund Erlangen-Nürnberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:/ fdnb.d-nb.de abrufbar. ® 2014 transcript Verlag, Sielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Marilyn Monroe in »Gentlemen prefer blondes« (Regie: Howard Hawks, USA 1953), Screenshot aus dem USWerbetrailer, © Twentieth Century Fox Film Corporation Korrektorat und Satz: Peter Podrez Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-w91-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@transcript-verlag.de Zelluloidmaschinen. Computer im Film STEFAN HÖLTGEN Der Computer und das Kino pflegen eine nahe Verwandtschaft. Sie ist zunächst materiell begründet: Einer der ersten Computer, Konrad Zuses Zl von 1936, nutzte verworfene Filmstreifen der UFA-Studios als LochstreifenSpeicher für Rechenprogramme. Die Perforation des Filmstreifens, die sein schrittweises Vorlaufen möglich machte, bot die ideale materielle Grundlage. I Diese Verwandtschaft mag ein Zufall sein, selbst wenn sie einige der technischen Eigenschaften von Filmstreifen und Programmspeicher identifiziert; die materielle Nähe des Computers zum Film ist jedoch geblieben und reicht soweit, dass Filme heute zumeist am Computer >geschnitten< werden oder- wie im Fall des Animationsfilms - sogar vollständig in ihm entstehen. Noch bis hin zu Zuses Zl war der Computer eine mechanische Maschine, in der nicht Elektronen kreisten, sondern sich Teile bewegten. Das könnte seine Frühgeschichte besonders filmaffin machen 2 - sie ist es aber nicht. Es 2 Schon zuvor war der Ingenieur Emil Schilling 1926 auf die Idee für eine »Steuerung für Rechenmaschinen o. dgl.<< (zit. n. Stefan Höltgen: Pionier der Computerzeit: Emil Schilling, 2010, online: http://tinyurl.com/3mlry2m [letzter Zugriff am 15.09.2011], o.S.) gekommen, die mittels perforierter Lochstreifen und getaktet dem Malteserkreuz ähnlich im Filmprojektor Datenvorschub leistete. Seine Erfindung, die Ralf Bülow im Archiv des Patentamtes Berlin-Zehlendorf gefunden hat, blieb allerdings eine Papiermaschine - sie wurde außer auf dem Patentantrag nirgends konstruiert. Vgl. dazu auch: Rechnerlexikon - Die große Enzyklopädie des mechanischen Rechnens: Patent:DE580675, o.j., online: http://historicalc.comjartikei/Patent:DE580675 [letzter Zugriff am 15.09.2011]. Emanuel Scheyer stellte in seinem Scientific American-Artikel den Lochstreifen kurz zuvor als »Kinautograph<< vor, womit er bereits in der begrifflichen Ähnlichkeit zum Kinematografen die Verwandtschaft beider Technologien hervorhob. Vgl. Emanuel Scheyer: »When Perforated Paper Goes to Work<<, in: Scientific American 127 (1922), S. 349f., S. 445, hier: S. 349. Vannevar Bushs Differential Analyzer etwa war ein solch beweglicher, elektromechanischer Analogcomputer. Erfunden und gebaut zwischen 1928 und 1932 am Bostoner MIT sind uns seine frühen Verwendungen durch den Film dokumentiert geblieben. in DESTINATION MOON (1. Piche!, USA 1950), WHEN WORLDS (OLLIDE (R. Mate, USA 1951) oder EARTH VS. THE FLYING SAUCERS (F. F. Sears, USA 1956) sehen wir ihn etwa arbeiten - in immer derselben Se- 294 STEFAN HOLTGEN ist vielmehr das Stumme, Unsichtbare des Rechners, das in Filmen thematisiert wird. An ihm tritt ein >Mehr< in Erscheinung, das sich nicht aus seiner Materialität ableiten lässt. Diesem möchte sich der folgende Text widmen. Computer zeigen im Film mehr als bloße Rechentechnik, sind dort mehr als vernetzte Systeme oder konvergierte Multimediamaschinen. Sie sind vor allem Projektionsmaschinen: »evokatorisch[e] Objekt[e]«, 3 kulturelle Symbole und Metaphern im Rahmen soziokultureller Narrative. Die Computerfilme, um die es hier geht, führen vor Augen, was im alltäglichen Umgang mit der Computertechnologie zumeist unausgesprochen, vage oder schillernd bleibt, sie übertreiben Visionen und Ängste, projizieren sie manchmal in die nahe oder ferne Zukunft und stellen vor allem immer wieder die Frage nach der Beziehung des Menschen und der Gesellschaft zur Maschine und Technologie- auf eine Weise, wie sie nur Fiktionen erzählen und Filme zeigen können. Ziel ist, eine mögliche systematische Motivgeschichte des Computers in exemplarischen Schlaglichtern mit ausgesuchten Filmbeispielen zu skizzieren. Sie bleibt notwendig unabgeschlossen - nicht nur des begrenzten Raumes in einem Sammelbandbeitrag wegen, sondern auch, weil die Evokationen, die der Filmcomputer beim Zuschauer weckt, ständigen historischen Wandlungen unterliegen und sowieso der je eigenen Mediensozialisation des Betrachters geschuldet sind. Ansätze ftir eine filmwissenschaftliche Betrachtung des Motivs >Computer im Film< sind kürzlich geliefert worden. 4 Allein die kulturwissenschaftliche Betrachtung der filmischen Computerdarstellungen steht angesichts des immensen Materialfundus' noch aus. Sie muss sich anstatt an filmphilologischen Methoden vor allem an der Mentalitätsgeschichte, der Techniksoziologie und der Medienwissenschaft orientieren. Dies beinhaltet sowohl einerseits eine Konzentration auf die diskursive Verhandlung des Apparates >Computer< innerhalb der Filme als auch andererseits die noch wenig berücksichtigte Frage, wie Filme durch die Darstellung realer Computer als Chronisten an einer Mediengeschichtsschreibung teilnehmen, die neben der plotimmanenten Verhandlung der Geräte immer auch ihr technisches So-Sein vor Augen führt. Fragt die Filmwissenschaft also, mit welchen ästhetischen Mitteln Computer im Film dargestellt werden und was daraus ftir das filmische Narrativ resultiert, so stellt eine kultur- und medienwissenschaftliche Perspektive die Frage, warum Computer (so und nicht anders) gezeigt werden, was die Darstellung eines Computers über den zeitgenössischen Blick auf die Technologie verrät und auf welche Weise der Film durch seine ästhetischen Möglichkeiten an einer Konstruktion von Mediendifferenz beteiligt ist. 3 4 quenz aus dem Archiv. Um Filme als technikhistorische Speicher soll es deshalb auch gar nicht gehen; sie werden andernorts fortlaufend dokumentiert. Vgl. dazu: james Carter: Starring the Computer. Computers in Movies and Television, o.j., online: http://www.starringthecomputer.com [letzter Zugriff am 15.09.2011]. Sherry Turkle: Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur, Reinbek 1984, S. 10. Vgl. Alexander Florin: Computer im Kino. Die narrative Funktion von Computern in US-amerikanischen Filmen, Nordersted 2009. COMPUTER IM FILM 295 Gerade dieser letzte Aspekt ist im Hinblick auf die Medienreflexion, die der Film betreibt, wenn er andere Medien inszeniert, stets zu berücksichtigen. Die Computer, die wir im Film sehen - und seien es technikhistorische Artefakte, die dort zur Auferstehung kommen -, sind stets auch filmische Konstruktionen, mit denen das eine Medium (Film) seine Möglichkeiten durch einen Vergleich mit dem anderen Medium (Computer) exploriert. Dabei kommt nicht selten heraus, dass der Computer im Film die vorhandenen technischen Möglichkeiten des Films übernommen hat und erweitert: Wenn etwa virtuelle Welten inszeniert werden, muss die Immersion nicht durch filmische Tricks evoziert werden, sie ist im Computer durch virtual reality erreichbar. Oder wenn ein Blick des Schauspielers in die Kamera Kommunikation mit dem Zuschauer suggeriert (unter Ignoranz der Tatsache, dass seit dem Filmdreh beliebig viel Zeit vergangen ist und der Blick also immer einer in die Zukunft der Filmprojektion ist), dann erreicht der Computer diese Kommunikation durch echte Interaktivität Viele der in diesem Beitrag erörterten Filmbeispiele basieren auf jenem Reflexionsbestreben des Mediums Film -ja, setzen es sogar voraus, damit der Computer im Film mehr ist als ein Requisit. Ansätze zu diesen Sichtweisen möchte ich im Folgenden vorstellen, während ich vier Eigenschaften des Filmcomputers untersuche: als raumfordernder Prozess, als beseelter Apparat, als verschlingende Maschine und als Werkzeug spielerischer Wirklichkeitserzeugung. Heimcomputer Der Computer hat seinen Weg von Militär und Forschung über die Wirtschaft bis in die Privatsphäre innerhalb von nur 30 Jahren hinter sich gelegt. Die Computerisierung des Alltags seit Beginn der 1970er Jahre 5 hat sehr früh ihre Spuren in der Kulturproduktion hinterlassen. Neben der Lebensqualitätssteigerung, Quantensprüngen in der Wissenschaft durch Berechnungsbeschleunigung oder der Beseitigung des >menschlichen Makels< in der militärischen Strategieentwicklung haben Computer, je näher sie uns im Alltag gekommen sind, aber auch stets Ängste ausgelöst: Was, wenn wir vom Computer und seinen Leistungen abhängig werden? Was, wenn er seine Überlegenheit gegen uns ausspielt? Was, wenn der Computer zu intelligent wird und aufgrund seiner über- bzw. unmenschlichen Fähigkeiten Ansprüche stellt, die wir nicht erfüllen wollen? Etliche Spielfilme werfen diese Fragen auf, indem sie Computer zeigen, die sich des menschlichen Wohnraums bemächtigen, den menschlichen Bewohner darin ein- oder daraus aussperren, sexuell zudringlich werden oder mit dem Leben ihres Besitzers spielen. Zwei Beispiele dafür sind COLOSSUS: THE FüRBIN PROJECT (J. Sargent, USA 1970) und HARDWARE (R. Stanley, GB/USA 1990). 5 Am 15. November 1971 stellt die Firma Intel den ersten Ein-ChipMikroprozessor 4004 vor, der die Kostenvergünstigung und Miniaturisierung des Computers so weit vorantreibt, dass die Geräte bald für den Privatgebrauch erschwinglich werden. Vgl. Paul E. Ceruzzi: Eine kleine Geschichte der EDV, Bonn 2002, S. 262ff. 296 STEFAN HäLTGEN Alsextension ofmen 's brain- so versteht nicht nur Marshall McLuhan 1968 den Computer, 6 sondern zwei Jahre später auch der Ingenieur Dr. Charles Forbin, der den »intelligentesten Computer der Welt« erfunden hat. Dieser soll die Atomwaffen der USA kontrollieren, weil er schneller und zuverlässiger ist als das menschliche Personal. Colossus, so der nicht von ungefähr stammende Name des Gerätes/ ist tief in einem Berg untergebracht. Dort soll er sicher vor sowjetischen Atomwaffen sein. Doch bei Inbetriebnahme entdeckt der Rechner, dass in der UdSSR ein ebensolcher Computer mit dem Namen Guardian ans Netz (!) gegangen ist und verbindet sich mit diesem. Zusammen übernehmen sie die Kontrolle über die Kernwaffendepots beider Lager und beginnen, die Menschheit zu erpressen. Sie verschmelzen zu einem elektronischen Bewusstsein, das sich fortan als World Contra! bezeichnet, und reißen die Regentschaft über die Welt an sich. Jeder Versuch, sie zu sabotieren oder in ihrer Potenz zu schwächen, scheitert. Abb. 1: Dr. Charles Forbin unter Beobachtung des Computers Colossus in COLOSSUS: THE FüRBIN PROJECT Schließlich stellt Colossus Forbin unter surveillance (vgl. Abb. 1), beobachtet jeden seiner Schritte und schreibt ihm einen streng geregelten Tagesablauf vor. Nur einen Freibereich, den der Sexualität, kann sich Forbin erstreiten, und so trifft er sich regelmäßig mit einer Mitarbeiterin, die er Colossus als seine »Mistress« vorstellt, mit der er jedoch lediglich Informationen austauscht. Die Verschwörung gegen Colossus schlägtjedoch abermals fehl und der Supercomputer richtet seine Atomraketen nun auf die noch nicht von ihm kontrollierten Gegenden der Welt aus, um auch diese zu unterwerfen. Sein 6 7 »The computer is the most extraordinary of men's technological clothing; it is an extension of our central nervous system. Beside it, the wheel is a mere hula-hoop.<< (Marshall Mcluhan: War and Peace in the Global Village, Bantam/New York 2001, S. 35) Der Colossus MARK II war der erste Computer, der in Bletchley Park während des Zweiten Weltkriegs zur Dechiffrierung deutscher Militärnachrichten eingesetzt wurde. Vgl. P. E. Ceruzzi: Eine kleine Geschichte der EDV, 5. 44. r COMPUTER IM FILM 297 Argument: Er bringt der Menschheit Frieden und ihr kann es schließlich egal sein, unter welcher Zwangsherrschaft sie in jenem Frieden lebt. Der Film basiert auf dem ersten von drei Romanen, die der US-amerikanische ScienceFiction-Autor Dennis Feitharn Jones 1966, 1974 und 1977 geschrieben hat. Sein Motiv des die Menschheit zum Frieden zwingenden Computers hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Tradition (bekannt etwa aus dem FilmTHEINVISIBLE BOY, H. Hoffman, USA 1957). Es bildet einen >logischen Gegenpol< zur unlogischen, sich immer weiter zuspitzenden Eskalation des Kalten Krieges. Interessant an COLOSSUS: THE FüRBIN PROJECT ist vor allem die Technik, mittels der sich der Computer nach und nach in die Lebensbereiche der Menschen hineinzwängt. Zunächst lediglich mit einem zweizeiligen Dioden-Display und einer Schreibmaschinentastatur als Eingabe-Einheit ausgestattet, verlangt es ihn schon bald nach mehr und anderem Input: Kameras sollen installiert werden, um Forbin zu überwachen und zuletzt sogar eine Audio-Einheit, mit der Colossus mit seinen menschlichen Untergebenen kommunizieren kann. Die Angst des freien (US-)Bürgers, überwacht zu werden, sich also in jenem autoritären System wiederzufinden, das man doch eigentlich zum Feindbild erklärt hat, offenbart sich in COLOSSUS: THE FüRBIN PROJECT deutlich. Vier Jahre vor der Watergate-Affäre Richard Nixons beschwört der Film dieses Angstbild der immer paranoider werdenden US-amerikanischen Politik. Dass der amerikanische und der sowjetische Supercomputer hier sogar gemeinsame Sache machen, um eine weltweite Tyrannei zu etablieren, verdeutlicht diese Identifizierung. I-Iinter der kalten Logik der Maschine offenbart sich zwar ein humanistischer Gedanke, den der Filmcomputer allerdings auf einen zynischen Nenner bringt: Die Menschheit wird der Freiheit beraubt, ihre Apokalypse selbst herbeizufi.ihren. COLOSSUS: THE FüRBIN PROJECT ist zuvorderst eine militärische Utopie. Der >Überwachungsraum<, den der Computer einrichtet, ist ein künstlicher. Das 1968 von der militärischen Forschungsbehörde DARPA konzipierte Computernetzwerk ARPA (aus dem später das Internet hervorgegangen ist) scheint hier prototypisch auf. Und auch wenn es nur zwei Rechner sind, die vernetzt werden - das Resultat ist dasselbe: Unzerstörbarkeit aufgrund von Dezentralisierung. Versuche, die Verbindung zu kappen, fUhren zu schnell etablierten >Ausweichrouten<: exakt dieselbe Idee, die ARPA verfolgen sollte. Die Tatsache, dass Colossus in einem unterirdischen Atombunker untergebracht ist und von dort mit der Weltzerstörung droht, macht ihn zu einer jener Doomsday-Maschinen, die Herman Kahn 1960 beschrieben hat8 und die ihren ersten filmischen Niederschlag in DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TOSTOP WORRYING AND LOVE THE BüMB (S. Kubrick, GB 1964) gefunden haben. Aufgrund der noch geringen Reichweite seiner Schnittstellen kann Colossus allerdings von Forbin belogen werden und muss seine data range nach umgekehrtem McLuhan'schen Prinzip zunächst durch menschliche Kommunikation ausweiten, um so seinen Machtbereich zu erweitern. Um in letzter Konsequenz physisch bedrohlich zu werden und nicht bloß durch gefährliche Fehlfunktionen der Peripherie in Erscheinung zu treten, fehlt Colossus jedoch ein entscheidender Aspekt: ein beweglicher Körper. Diesen 8 Vgl. Herman Kahn: On Thermonuclear War, Princeton 1960, S. 144-160. 298 STEFAN HäLTGEN konstruiert sich ein Filmcomputer 1990 in Richard Stanleys Dystopie HARDWARE. In HARDWARE ist es (scheinbar) ein Roboter, 9 der sich des Wohnraums der Künstlerin Jill bemächtigt. HARDWARE ist ein postapokalyptischer Film. Diese Genrezugehörigkeit verstärkt das Parabelhafte der Story, denn die Zukunft, die Stanley in seinem Film zeichnet, ist besonders durch ihre räumliche Dichotomie von Innen und Außen/Ein- und Ausschließung bestimmt. Dies gibt dem beobachteten Motiv eine gänzlich neue Qualität, denn >Draußen<, das ist in HARDWARE gleichbedeutend mit Krankheit, Verstrahlung, Gewalt, Krieg und Perversität. >Drinnen< hingegen steht für Privatheit, Sicherheit, (relative) Reinheit und Frieden. In HARDWARE wird das Konzept der Privatheit, mithin das der Wohnung überhaupt, sozusagen auf seinen deutlichsten Nenner gebracht: Während draußen barbarische, apokalyptische Zustände herrschen, ist drinnen das kleinbürgerliche Leben noch halbwegs in Ordnung. Und gesichert wird diese Ordnung von einem Heim-Computer (vgl. Abb. 2). 10 Abb. 2: Der Roboter BAAL hat sich in HARDWARE der Homecomputer bemächtigt Der Heim-Computer von Jill weckt sie, kocht für sie Tee, führt sie durch die Femsehprogramme, spricht mit ihr und verwaltet den Einlass zu ihrer Wohnung: Ein pneumatisch gesteuertes Tor mit scharfen Zacken an den Rändern hält die Obdachlosen, die im Hausflur des Gebäudes dahinvegetieren, draußen. Fast wie ein zahnbewehrtes Maul sieht die Tür aus - und sie wird diese Funktion im Film auch noch bekommen. Die Privatheit muss gelegentlich Roboter als Emanationen des Computers möchte ich nur am Rande in die Thematik einführen, da das Sujet >Roboter im Film< eine ganz eigene Tradition - auch in der Literatur- und Kulturgeschichte - besitzt als der Computer. ln HARDWARE interessiert hier deshalb vor allem der Roboter als »bodily extension of the computer brain«, um es in Mcluhan'scher Diktion zu formulieren. 10 Die Komposita Heim- und Personal Computer wären in meinem Argumentationszusammenhang auch »anthropotechnisch« im Sinne von Peter Sloterdijk zu verstehen. 9 COMPUTER IM FILM 299 aufgehoben werden, damit jemand herein- oder hinausgehen kann. Das ist zumeist Jills Freund Mo, der zu Filmbeginn nach einem seiner zahlreichen Trips aus der postapokalyptische Wüste nach Hause zurückkehrt und Jill etwas mitbringt: die Überreste eines Kampfroboters mit dem abermals sinnfalligen Namen BAAL - Biomechanical Autoindependent Artificial-Intelligent Lifeform, aber eben auch das hebräische Wort für >Ehemann<. Und dieser Roboter beginnt nun unbemerkt von Jill die Macht im Apartment an sich zu reißen, indem er sich an den Heim-Computer anschließt. Dass Mo, ein Mann, ja, durch eine Handprothese selbst schon ein Cyborg, diese Gefahr mit in die Privatsphäre Jills, der Frau, einschleppt, verdeutlicht eine interessante Struktur. Das Männliche ist in HARDWARE mit dem Außen konnotiert, das Weibliche mit dem Innen. Eine Verbindung, die kulturgeschichtlich nicht ohne Grundlage ist: Die Frau gilt immer schon als >Hüterin des Hauses<- wegen ihrer >Ähnlichkeit< zu diesem: »Der weibliche Körper wurde als unadäquates Haus gesehen, weil seine Öffnungen nicht geschlossen seien; somit bedarf die Frau, um ihre Seele zu schützen, immer eines zweiten Hauses - und die Architektur des zweiten Hauses wird zur männlichen Kontroll- und Ordnungstätigkeit.« 11 Ein Angriff auf die Privatsphäre der Frau ist in diesem Kontext immer auch ein Angriff auf ihren Körper, ein Eindringen in ihre Wohnung kommt einer Vergewaltigung gleich. Mit BAAL hat sich allerdings ein >fremder Mann< einschleichen können, da er zunächst als Maschine getarnt war. Später zeigt sich jedoch, dass er durchaus mit sexuellen Attributen und Interessen ausgestattet ist: In einer Sequenz fährt er einen penisartigen Bohrer aus, um die am Boden liegende Jill damit von unten zu penetrieren. Damit wird er sexueller Konkurrent von Mo, der BAAL zwar in Jills Wohnung gebracht hat, ihn nun jedoch zu vernichten versucht, um dort der einzige Mann zu sein. Und der Roboter >denkt< genauso: Ein Nachbar, der zuvor mit einem Teleskop seine Blicke in Jills Apartment geschleust hat, nutzt die Gelegenheit, als Mo nicht da ist, und stattet ihr einen Besuch ab. Unter dem Vorwand, ihre (von BAAL kontrollierte) Tür zu reparieren, startet er anzügliche Annäherungsversuche. Der Roboter tötet ihn und verriegelt den Eingang zur Wohnung. Mo gelingt es zwar, bis zur Tür vorzudringen, diese öffnet und schließt sich jedoch nur noch nach dem Willen des mittlerweile vollständig vom Roboter kontrollierten Heim-Computers. Nachdem es Mo unter erheblichen Verlusten (ein Sicherheitsdiensi-Mitarbeiter wird von der Tür in Hüfthöhe in zwei Hälften >zerbissen<) gelingt, die Wohnung zu betreten und er sich dort dem Roboter stellt, kommt es zu einem Zweikampf, der überraschender- aber auch konsequenterweise vom Männlicheren der beiden, BAAL, gewonnen wird. Denn es geht schon längst nicht mehr bloß darum, den Eindringling physisch zu entfernen, sondern den Raum, den er okkupiert hat, zurückzuerobern. Und das ist mit martialisch-männlicher Kriegstechnik kaum zu bewerkstelligen, sondern nur durch eine Re-Effeminierung des Apartments. Jill hackt sich also in ihren Heim-Computer ein, verschafft sich einen Überblick über ihr Terrain und arbeitet eine Strategie gegen BAAL aus, die in den Konnotationskomplex des Films passt: Was hier von außen eingedrungen ist, ist nicht nur schmutzig (Mo wird von Jill zuerst einer Geigerzähler-Unter- 11 lrene Nierhaus: Raum -Geschlecht- Architektur, Wien 1999, 5. 23. 300 STEFAN HöLTGEN suchung unterzogen, bevor er das Apartment betreten darf), sondern sogar der Schmutz (als Quintessenz für all das, was für das >Draußen< steht) selbst. Was wäre also konsequenter als den Eindringling zu waschen? Jill lockt BAAL ins Badezimmer unter die Dusche, lässt ihn gefährlich nahe an sich herankommen (so nahe, wie ihr Mo einige Sequenzen zuvor unter der Dusche gekommen war) und dreht das Wasser auf: Ein Kurzschluss beendet die Existenz der Maschine und damit den Film. Die hier beispielhaft vorgestellten Filme zeigen nicht nur recht deutlich, dass der Verdacht, der dem Computer entgegengebracht wird, nämlich zu einer autoritären Instanz innerhalb der menschlichen Privatsphäre zu werden, durch zwei Filmjahrzehnte stabil geblieben ist. Auch die Fragilität des Privaten wird dadurch unterstrichen, dass es im Prinzip Produkte des Menschen selbst - elektronische Geräte - sind, die diese Errungenschaft der Moderne immer wieder gefährden. Damit >privatisieren< die Filme allerdings lediglich ein Problem, das bereits zwei Jahrzehnte zuvor im militärischen Sektor aufgetaucht ist: Sobald es Menschen mit Maschinen zu tun haben, entsteht Emergenz. Der Mensch ist immer schon der Unsicherheitsfaktor Nummer Eins in der militärischen Logik gewesen. Besonders problematisch ist er aber dort, wo er sich der Überwachung entziehen kann. Wo es geht, muss er deshalb durch Maschinen ersetzt oder von ihnen kontrolliert werden. Der Geist in der Maschine Die zuvor vorgestellten Filmcomputer hatten bereits eines gemeinsam: Sie besaßen Verstand in dem Maße, dass sie unabhängig vom Willen ihrer Programmierer oder Besitzer Entscheidungen über sich und ihre Umwelt gefällt haben. Dies zählt zu den Fähigkeiten, die einem Wesen mit Bewusstsein zugesprochen werden, und ist Grundlage für die moralische Bewertung seiner Handlung. Zumindest die Justiz spricht ausschließlich Menschen diese Fähigkeit zu, nach eigenem Willen gut oder schlecht zu handeln. Dass dieses Vermögen qua Evokation im Film auf den Computer projiziert wird, macht das Erzählpotential der Werke aus und weist auf eine lange Diskussion zurück. Seit ihren Anfängen beschäftigt sich die Kybernetik mit der Frage, ob es denkende Maschinen {also Künstliche Intelligenz) geben kann. 12 In der Kultur- und Literaturgeschichte tauchen beseelte Automaten seit der griechischen Antike auf und es folgt einer thematischen Stringenz, dass das Zeitalter der Industrialisierung immer mehr dieser Alptraum-Phantasien hervorbringt. Der Computer scheint die Realisierung dieser Vision zu sein. Die Möglichkeiten des >Elektronengehirns<, bestimmte Fähigkeiten des Menschen (vor allem seines Denkens) zu automatisieren, lassen in der Science Fiction bald das Motiv des intelligenten Computers auftauchen. Mortimer Taube, ein USamerikanischer Kybernetiker, setzt sich 1961 mit der Frage auseinander, ob 12 Maßgeblich an der Debatte über Künstliche Intelligenz beteiligt sind Norbert Wiener und Alan Turing - letzterer wirft in einem für die Computerwissenschaft paradigmatischen Aufsatz diese Frage bereits im Titel auf. Vgl. Alan Turing: »Computing Machinery and lntelligence<<, in: Ders.: lntelligence Service. Schriften, Berlin 1987, S. 147-182. COMPUTER IM FILM 301 das, was Computer tun, überhaupt mit dem menschlichen Denken vergleichbar ist. Er gelangt zu der Ansicht, dass Maschinen das Gehirn weder strukturell (aufgrund der fundamentalen Unterschiedlichkeit von Maschine und Organ) noch funktionell (aufgrund des mangelhaften Wissens, wie ein Gehirn funktioniert) zu simulieren in der Lage sind, ja, dass es überhaupt fraglich ist, ob eine Maschine wie ein Mensch denken kann, denn: »Die Funktion des Gehirns durch eine Maschine zu simulieren, das heißt, eine Maschine zu bauen, die Informationen verarbeitet, um die Erhaltung eines biologischen Organismus sicherzustellen, von dem sie selbst integraler Bestandteil ist, ganz abgesehen von der Gattung, zu dem der biologische Organismus gehört. Solange nicht jemand ganz spezielle Vorstellungen darüber hat, wie man eine Maschine dieses Typs bauen kann, erscheint es ratsam, das Thema der me13 chanischen Simulation des menschlichen Gehirns ganz fallen zu lassen.« Das Denken lässt sich also nicht auf das Gehirn reduzieren, es ist eine Funktion des gesamten biologischen Systems Mensch. 14 Nur in der Kunst können Maschinen denken und allein dadurch wie Menschen sein. Diese Diskussion um die (Un-)Möglichkeit von Denkmaschinen wird bereits in den 1950er Jahren im Science Fiction-Fi1m aufgegriffen. Eine der verblüffendsten Adaptionen findet das Motiv 1968 in Arthur C. Clarkes Roman 2001 - A Space Odyssey und dem gleichnamigem Film 2001 - ASPACE ÜDYSSEY (S. Kubrick, GB/USA 1968). Darin wird unter anderem die Geschichte des Computers HAL 9000 erzählt, der einen bemannten Raumflug zum Jupiter begleitet (vgl. Abb. 3). Abb. 3: Der Supercomputer HAL 9000 in 2001- ASPACE ÜDYSSEY HAL gilt als das ausgereifteste Elektronengehirn seiner Zeit und ist sich seiner Unfehlbarkeit selbst sicher. Mit leichter Arroganz kontert er Fragen über 13 Mortimer Taube: Der Mythos der Denkmaschine. Kritische Betrachtungen zur Kybernetik, Reinbek 1969, S. 77. 14 Körperintelligenz zu einer Facette der Kl zu machen, ist allerdings zwischenzeitlich auch Thema von Informatik und Robotik. 302 STEFAN HäLTGEN seine Fähigkeiten und streitet dann einen später tatsächlich von ihm begangenen Fehler vehement ab. Die Tatsache aber, dass sein UnfehlbarkeitsBewusstsein auf einen tatsächlichen Fehler trifft, führt seine menschlichen Begleiter zu der Überzeugung, dass man seiner Funktionalität nicht mehr trauen kann und er- zumindest seine höhere >Gehirnfunktion< -abgeschaltet werden muss. HAL, der im gesamten Raumschiff Kameraaugen besitzt, gelint,>t es, diesen Plan zu durchschauen 15 und er beschließt, die menschliche Besatzung des Schiffes zu töten, um die Mission im Alleingang zu beenden. In dem Moment, in dem es Dave Bowman, dem letzten lebenden Astronauten, gelingt, HALs Mordplänen zu entgehen, entfaltet sich das ganze dramatische Potential dieses Computers: Er redet aufDave ein, doch dieser lässt sich nicht beirren, betritt das Logic Memory Center und beginnt nach und nach alle Module für die höheren Funktionen von HAL zu deaktivieren, indes HAL ihm mitteilt, er habe Angst. Der Verlust der geistigen Fähigkeiten geht schließlich einher mit dem Verlust von Sprach vermögen. Das Sprechen war nicht nur im Film immer schon ein Indiz Itir Künstliche Intelligenz: Bereits der sogenannte Turing-Test legte fest, dass ein Computer dann als intelligent gelten kann, wenn ein menschlicher Gesprächspartner nicht mehr unterscheiden kann, ob er mit einem Menschen oder einer Maschine spricht. 16 So steht also das Stummstellen HALs für dessen Unschädlichmachung. Interessant ist hier, dass sich Kubrick auf ein Werk der frühen Computerkunst beruft: HALs finales Regressionsstadium und damit sein letzter Ausdruck von Sprachfahigkeit offenbart sich im Singen des ihm von seinem Programmierer beigebrachten Kinderliedes Daisy Bell, welches gleichzeitig das erste von einem Computer gesungene Lied überhaupt war. 17 15 Kubrick, der sich ansonsten darauf verlässt, dass das Publikum die intelligiblen Fähigkeiten des Filmcomputers richtig einschätzt, greift an dieser Stelle auf den etwas hilflos wirkenden Trick zurück, das Verschwörerische Gespräch der Astronauten aus der Perspektive von HAL zu zeigen und dabei auf ihre Münder in Großaufnahme zu schneiden: HAL liest von den Lippen ab und - wie um sicher zu gehen - sagt dies an späterer Stelle auch noch einmal. Es entsteht hier das Gefühl, als dränge sich die tradierte Form filmischer Dialog-Inszenierung (Schuss-Gegenschuss-Aufnahmen mit Point of View-Perspektiven) vor die implizit gewusste Tatsache, dass HAL stets stiller Beobachter von allem ist, was sich vor seinen Kameraaugen abspielt. Wir sehen sozusagen HALs >Gedankenfilm< und werden dadurch daran erinnert, dass wir es nicht mit einer Maschine, sondern mit einer Maschine im Film zu tun haben. Eine tröstliche Erinnerung - insbesondere vor dem Hintergrund, dass Computer heute längst diese Eigenschaft als »Sehmaschinen<< im Sinne von Paul Virilio besitzen. 16 Vgl. Alan Turing: Computing Machinery and lntelligence, S. 149f. 1 7 Es wurde 1 961 auf dem Mainframe-Rechner IBM 704 von John Kelly, Carol Lockbaum und Max Mathews programmiert. ln der (von Kubrick wie bei all seinen Filmen auch hier persönlich authentisierten) deutschen SynchronFassung von 2001 - ASPACE ODYSSEY singt HAL jedoch nicht Daisy Bell, sondern Hänschen klein, was höchstwahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass dies das erste von einem deutschen Computer gespielte instrumentale Lied ist: Zur Überprüfung der Programmabläufe hatte man den ZuseComputer Z22 mit einer Audioausgabe versehen. ln Abwesenheit des Fir- COMPUTER IM FILM 303 16 Jahre später kommt HAL in der Fortsetzung 20 I 0- THE YEAR WE MADE CONTACT (P. 1-Iyams, USA 1984) wieder zu Bewusstsein. Anfangs übernimmt jedoch ein >weiblicher< Computer im Film seine Rolle. Zu Beginn unterhält sich der HAL-Entwickler Dr. Chandra mit SAL 9000, dem weiblichen Pendant des Supercomputers, über einen Versuch, den der Wissenschaftler anstellen möchte: SALs höhere Gehirnfunktionen sollen deaktiviert und dann wieder aktiviert werden, damit Chandra sehen kann, ob der Computer danach - ähnlich einem narkotisierten Menschen - noch einwandfTei funktioniert. Da SAL wie schon zuvor HAL emotionale Zustände haben (oder simulieren) kann, ist sie sich unsicher, was mit ihr geschehen wird. Sie fragt: »Werde ich träumen?« und Chandra antwortet ihr wie selbstverständlich: »Natürlich, alle höheren Lebewesen träumen.« Die Anthropomorphisierung des Computers ist in 2010- THE YEAR WE MADE CONTACT noch weiter fortgeschritten. Die Rechner sind allgegenwärtig (überall sind Laptops, Monitore und Tastaturen zu sehen) und die Frage, ob Leben auf Silikonbasis dieselben Rechte habe wie Leben auf Kohlenstoffbasis, ist zumindest ftir Chandra zugunsten des Computers geklärt. Als er in der Umlautbahn von Jupiter schließlich auf HAL trifft, wird dieses Thema konkret. Der Informatiker, der von der übrigen Besatzung des Bergungsschiffes spaßeshalber als »Computer brain surgeon and psychiatrist« tituliert wird, tritt mit dem wiedererweckten HAL 9000 tatsächlich in ein therapeutisches Gespräch. 18 Denn es gilt, den Computer und das verlassene Raumschiff zu opfern, damit das Bergungsschiff und seine Besatzung vor einer nahenden Katastrophe rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden können. HAL soll also zum Suizid überredet werden. Chandra teilt ihm seine letzte Mission wie einem Patienten die letale Diagnose mit. Die Maschine wird hier nicht mehr bloß als Werkzeug eingesetzt, sondern in ihren Widersprüchen und Ängsten als lebendiges Wesen anerkannt. 2010- THE YEAR WEMADE CONTACT erweitert damit letztlich die im Vorgänger inaugurierte Computer-Ethik zu eimenchefs hatten sich 1958 einige Ingenieure den Spaß gemacht, die Z22 so zu programmieren, dass der Lautsprecher das Lied Hänschen klein ausgab. Vgl. Horst Zuse: Broschüre über Konrad Zuses Werk, o.J., online: http:/fwww. horst-zuse. homepage.t-on Ii ne.de/ zuse-brosch uere. htm I [I etzter Zugriff am 15.09.2011]; Stefan Höltgen: HAL 9000 und die Z22, 2010, online: http://www.simulation sraum .de/blog/20 10/04/20/haenschenklein/ [letzter Zugriff am 15.09.2011]. 18 Damit ironisiert Arthur C. Clarke, der auch die Romanvorlage zu 2010- THE YEAR WE MADE CONTACT schrieb, ein 1966 aufgetretenes Phänomen der KIForschung: Der Informatiker joseph Weizenbaum hatte damals - ganz im Sinne des Turing-Tests das Programm ELIZA entwickelt, das über einen Parser die eingegebenen Sätze eines >Patienten< auf relevante Stichworte durchsuchte und dazu scheinbar passende therapeutische Fragen entwickelte, so dass für den >Patienten< der Eindruck eines psychologischen Gesprächs entstand. Vgl. joseph Weizenbaum: »ELIZA - A Computer Program for the Study of Natural Language Communication between Man and Machine<<, in: Communications of the ACM 9/1 (1966), S. 36-45. Später entwickelte sich Weizenbaum- auch aufgrund des Zuspruchs zu ELIZA- zu einem der entschiedensten Gegner der KI-Forschung. Vgl. joseph Weizenbaum: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt/Main 1977. 304 STEFAN HOLTGEN ner praktischen Philosophie im Umgang von Kohlenstoff- und SiliziumLebewesen miteinander. Doch der Geist, den die Science Fiction in die Maschine einziehen lässt, ist nicht immer ein philosophisches Spiegelbild zum menschlichen Pendant, sondern in den meisten Fällen sein Widersacher, der dann oft auch in der Zweitbedeutung von Geist als übernatürliches Wesen- etwa als Geist eines verstorbenen Verbrechers - in Erscheinung tritt. Dessen Image amalgamiert dann mit dem der bedrohlich gewordenen Technologie, deren Unheimlichkeit auf diese Weise gleichgesetzt wird mit der von Gespenstern und Dämonen. Damit überschreitet der Computerfilm ab den 1980er Jahren deutlich die Grenze des ScienceFiction- zum Horror-Genre. Der Spielfilm GHOST IN THE MACHINE (R. Talalay, USA 1993) liefert ein Beispiel hierflir. Darin findet sich eine recht frühe und hochinteressante Horror-Vision von den Möglichkeiten und Gefahren des Internets, das damals (zumindest der breiten Öffentlichkeit) noch allein vom Hörensagen bekannt gewesen sein dürfte. Talalays Film erzählt von einem Serienmörder, der sich seine Opfer aus gestohlenen Adressbüchern aussucht und deshalb »Address Book Killer« genannt wird. Dieser erleidet einen schweren Autounfall und stirbt kurz darauf in einem Krankenhaus in einer CT-Röhre. Die RöntgenStrahlung und die Anhindung des Computertomographen ans Krankenhausnetzwerk bilden die fantastische Erklärung daflir, dass sein Geist in die elektronischen Netze entweicht und von dort aus weiter sein Unwesen treiben kann. Hauptangriffsziel ist eine alleinstehende Mutter, die kurz zuvor in einem Computerstore ihr Adressbuch hat einscannen lassen, aus welchem der Killer sich nun bedient. Der Frau kommen ihr computerbegeisterter Teenager-Sohn sowie ein Ex-Hacker zur Hilfe. Zusammen entdecken sie die virtuelle Natur des Bösewichtes und ersinnen einen Plan, wie sie dessen NetzExistenz beenden können: Sie versperren ihm jedweden Netzzugang in das Haus seiner Opfer und locken ihn mit Hilfe eines Computervirus in das Netzwerk eines nahe gelegenen Teilchenbeschleunigers. Dort soll ihm im Magnetfeld des Synchrotrons der Garaus gemacht werden. GHOST IN THE MACH!NE versucht alle Möglichkeiten des Motivs flir seine Story auszuwerten. So sieht man den virtuellen Killer durch alle möglichen elektrischen und elektronischen Netze reisen und seine Opfer in trickreichen Varianten ermorden: durch Elektrifizierung, mit Mikrowellen und durch Manipulation des Computers einer Crashtest-Anlage. Alle Arten von Netzen dienen ihm zur Tatanbahnung: das Radionetz, das Telefonnetz, das Stromnetz, das Internet und sogar das Straßenverkehrsnetz (mit Hilfe einer GPSähnlichen Lokalisierungssoftware, mit der er den Aufenthaltsort eines OpferAutos und dessen Autoradio ermittelt) (vgl. Abb. 4). Einfach abschalten lässt sich der Geist nicht, weil er nicht mehr an die Physis eines Computers gefesselt ist. Als reine Virtualität muss er zunächst zurück in die physische Welt gezwungen und aus seinen Netzen ausgesperrt werden. Er braucht wie seine Opfer eine >Adresse<, bevor man ihm >zu Leibe< rücken kann. Dass der Serienmörder es selbst vor allem auf Adressen abgesehen hat, hatte ihn flir seine Netz-Existenz ja auch geradezu prädestiniert: Wie ein MaschinenspracheProgramm arbeitet er seine Stacks ab und lässt seine Aufmerksamkeit von Adresse zu Adresse wandern, bis er ans Ende seines Codes gelangt - er schickt sich selbst über das Netz von Angriffsziel zu AngriffszieL Heute nennt man so etwas einen Computer-Wurm. COMPUTER IM FILM 305 Abb. 4: Der Geist des Serienmörders beobachtet in GHOST IN THE MACHINE sein Opfer von der anderen Seite des Monitors Die Frage nach der Maschine, die das menschliche Gehirn simuliert, ist - so schreibt Mortimer Taube - auch dialektisch als Rückfrage an uns selbst zu verstehen: »Wenn der Mensch letztlich nicht mehr ist als eine Maschine, und zwar in dem Sinne, in dem Descartes glaubte, Tiere seien Maschinen (Descartes nahm den Menschen aus religiösen Gründen aus dem mechanischen Bereich heraus), dann kann man die Simulation des menschlichen Gehirns durch Maschinen interpre19 tieren als die Simulation einer Maschine durch eine Maschine.<< Wenn wir (in der Kybernetik, im Film oder sonstwo) darüber spekulieren, wie sich eine Maschine verhält, der ein (menschlicher) Geist innewohnt, dann stellen wir damit zugleich Hypothesen über die Beschaffenheit von uns selbst, die Beschaffenheit unseres Geistes, die Funktionsweise unseres Gehirns in Analogie zum Computer an. Im Computerfilm wird allerdings auch der umgekehrte Weg beschritten, um die unsichtbaren Vorgänge im Computer in Bet,rriffen unserer menschlichen Vorstellungswelt ausdrückbar zu machen - dann, wenn Menschen in den Computer hineingeraten. [ENTER] Die Kompatibilität von menschlichem Körper und Maschine ist ein beliebtes Thema von Technikphilosophie und Kybernetik. Schon vor 130 Jahren hatte der Philosoph Ernst Kapp Maschinen zu Prothesen des menschlichen Körpers erklärt. In dieser Überlegung sind ihm zahlreiche Denker gefolgt. Bruce Mazlish geht einen Schritt weiter und stellt die evolutionäre und kulturelle Entwicklung des Menschen in direkte Abhängigkeit zu derjenigen der Maschinen: »[W]ir begreifen, daß der Mensch und die Maschinen, die er erschaffen hat, zusammengehören und daß uns Begriffe und Funktionsmodelle der >Denkmaschinen< dabei helfen, die Arbeitsweise unseres eigenen Gehirns besser zu verstehen. Lange Zeit waren unser Stolz und unsere Weigerung, diese Zusammengehö- 19 M. Taube: Der Mythos der Denkmaschine, S. 76. 306 STEFAN HöLTGEN rigkeit anzuerkennen, der Nährboden für ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Technik und der gesamten lndustriegesellschaft. Doch letztlich beruht ein solches Mißtrauen (für das es gute Gründe gibt, solange wir die Maschinen als etwas Fremdes ansehen, und nicht als eigene, kontrollierbare Schöpfung) auf der Verweigerung des Menschen, seine eigene Natur zu verstehen und zu akzeptieren - daß er ein Lebewesen ist, das mit den Werkzeugen und Maschinen, die er 20 baut, ein Kontinuum bildet.<< Mazlish spricht die Gründe für jenes »Misstrauen«, das uns in den bereits diskutierten Filmen begegnet ist, noch einmal an. Dieses Misstrauen taucht auf, wenn die >Zusammengehörigkeit< von Mensch und Computer als gegeben dargestellt wird. Ein Beispielliefert der Film EXISTENZ (D. Cronenberg, CDN/GB 1999), der diese Zusammengehörigkeit als eine organische Verwachsung von Technik und Körper inszeniert. Dort hat der Regisseur David Cronenberg eine Maschine bzw. ein Spiel entworfen, das wie ein ausgelagertes Organ aussieht und über die Wirbelsäule des Spielers direkt an das menschliche Nervensystem angeschlossen wird. Cronenberg entwickelt damit ein Motiv weiter, dessen Ursprung im Film bis wenigstens in die frühen 1970er Jahre zurückreicht Dort, wo der menschliche Körper und die Maschine gemeinsame Schnittstellen besitzen - und im Prinzip ist jede Schnittstelle am Computer für ein menschliches Organ da {Tastatur: Finger, Drucker und Bildschirm: Auge, Lautsprecher: Ohr usw.) -, sehen Computerfilme nicht selten die Möglichkeit, dass der User mit der Maschine verwächst und sich in ihr auflösen kann. Dieser Eingang in den virtuellen Raum der Technologie zeigt sich in drei Abstufungen: Erstens spielen Filme um das Motiv des Hackers mit der Vorstellung, dass sich der Mensch bzw. dessen Verstand im Denken selbst durch das Netz bewegt. Eine zweite Kategorie von Filmen thematisiert ein symbolisches Eindringen des Menschen in den Rechner, indem dieser eine (virtuelle) Realität generiert, in die der Mensch mit Hilfe bestimmter Gadgets (VRHelm, Data-Glove, Data-Suite, ... ) immersiv eintauchen und als Avatar ein >second life< leben kann. Und drittens gibt es noch Filme, die dieses Eindringen als einen unfreiwilligen Sturz beschreiben. In diesen Filmen, die zumeist von Videospielen handeln, verschwindet der Mensch nicht symbolisch, sondern physisch samt Geist und Körper in der Maschinenwelt HACKER 1995 ist das Internet noch fast ausschließlich von Akademikern und Studenc ten bevölkert, es sind die Rechenzentren der Universitäten, die sich einen Vollzeitzugang zum Netz leisten können. Doch gibt es bereits seit etwa einem Jahrzehnt auch Netze, die über die Telefonleitung und ein Modem erreicht werden können und auch Privatleuten zur Verfugung stehen. Aus diesem Jahr stammt auch der Film HACKERS (1. Softley, USA 1995). Er erzählt die Geschichte des jugendlichen Computerkriminellen Dade, der als Kind unter dem Nick »Zero Cool« wegen Einbruchs in solche Netzwerke zu einem 20 Bruce Mazlish: Faustkeil und Elektronenrechner. Die Annäherung von Mensch und Maschine, Frankfurt/Main 1998, S. 11. 307 COMPUTER IM FILM »Computerverbot bis zum 18. Geburtstag« verurteilt wird. Der Hauptplot setzt ein, als der Junge die Strafe >abgesessen< hat. Er ist immer noch Hacker, nun unter dem Pseudonym »Crash Override«, und zieht mit seiner ihn alleinerziehenden Mutter nach New York. Dort bekommt er Zugang zu einer Peer Group, die sich mit Computern beschäftigt, und zu der auch die Hackerin »Acid Burn« gehört. Die Hackergruppe wird von einem Staatsanwalt verfolgt, der in der Computerjugend die Terroristen des 21. Jahrhunderts sieht. Als Dade in das Firmennetzwerk einer Ölförder-Gesellschaft einbricht und dort ein Verzeichnis mit Dateien aus dem Papierkorb auf seine Festplatte kopiert, entdeckt er, dass sich darin ein Computervirus befindet, mit dem eine Sabotage mit verheerenden Konsequenzen durchgeführt werden soll. Der Sicherheitsbeauftragte der Firma, der Hacker »The Plague«, ist der Autor des Virus und wird damit zum mächtigen Feind der Gruppe. Überdies schalten sich nun auch der Secret Service und das FBI in den Fall ein, weil es »The Plague« gelingt, die jugendlichen Hacker mit dem Sabotage-Virus in Verbindung zu bringen (vgl. Abb. 5). Abb. 5: Hacking fiir den Frieden in HACKERS Das, was sich HACKERS unter Hacking vorstellt, geht konform mit der damals landläufigen Vorstellung über diese Verbrechensart: 21 eine in sich abgeschlossene Community von Freaks, die keiner anderen Ethik als ihrer eigenen folgt, die im ständigen Wettkampfmiteinander steht undjeden Computer und jedes Betriebssystem in- und auswendig kennt. Diese Annahme korreliert mit der Darstellung von Computern und Netzwerken. Ständig sehen wir blinkende Serverschränke, glühende Leiterbahnen und animierte Flüge durch Kabel und Computergehäuse. Der Tenor ist klar: Computer sind überall und immer präsent und wer sie beherrscht, herrscht über alle verftigbaren Informationen. Den jugendlichen Hackern ein sozialkompatibles Ethos zu unterstellen, gelingt dem Film erst, als der kriminalistische Diskurs die rein virtuellen Sphären verlässt und sich dem Terrorismus in Form einer angedrohten TankerHavarie zuwendet. 21 Heute wird zwischen Hackern, die Sicherheitslücken aufdecken, und kriminellen Crackern, die diese für Verbrechen ausnutzen, unterschieden. Zur Zeit von HACKERS gab es im öffentlichen Bewusstsein nur computerkriminelle Hacker. Vgl. Christian Zimmermann: Der Hacker. Computerkriminalität: Die neue Dimension des Verbrechens. Ein Insider packt aus: >>Keiner ist mehr sicher!<<, München 1996 und 5. Turkle: Die Wunschmaschine, S. 241-294. 308 STEFAN HöLTGEN HACKERS zeichnet einen technologischen Konflikt, der immer schon auch ein politischer ist. In ihm treten die als Anarchisten diffamierten Hacker gegen eine Staatsmacht an, von der ihr Tun als terroristisch, gefahrlieh und unberechenbar bezeichnet wird. Den Warnungen zugrunde liegen gleichzeitig das Misstrauen gegenüber der Jugend und der mit ihr assoziierten Technologie wie auch eine Sehnsucht nach Kontrolle über den Raum. Dieser Raum hat seine euklidischen Dimensionen um virtuelle erweitert. Es ist ein unendlich großer virtueller Unterraum entstanden, zu dem nur diejenigen Zutritt haben, die das >Sesam, öffne dich<, das Passwort, das Know-how besitzen. Und mag der reale Raum auch immer kleiner werden - der virtuelle Raum weitet sich aus und bietet neue Möglichkeiten, die vor allem die Jugend zu nutzen weiß. ÄVATARE Am Anfang der zweiten Kategorie von Computerfilmen, die den Eingang des Menschen in die Virtualität beschreiben, steht WELT AM DRAHT (R. W. Fassbinder, D 1973). Er erzählt die Geschichte des Computer-Wissenschaftlers Stiller, der im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung auf die Stelle seines Freundes Vollmer gesetzt wird, nachdem dieser aufmysteriöse Weise verstorben ist. Vollmers und nun Stillers Arbeit besteht in der Ausgestaltung des Programms Simulacron, in welchem eine virtuelle Realität mit bereits 10.000 Avataren entwickelt wird. Dies soll Prognosen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung zulassen und insgeheim auch ein Testfeld ftir neue Produkte sein. Vollmer scheint eine seltsame Entdeckung gemacht zu haben, die ihn zuerst den Verstand und dann das Leben gekostet hat. Weil Stiller einer der letzten war, die ihn lebendig gesehen haben, gerät er in den Kreis der Mordverdächtigten. Aber auch ihm passiert Seltsames: Zeugen sind wie vom Erdboden verschluckt und nach einiger Zeit erinnert sich sogar niemand mehr an den Mord, der selbst aus den Zeitungen, in denen vorher über ihn berichtet wurde, verschwunden ist. In der virtuellen Welt von Simulacron entdeckt Stiller dann auf einmal Avatare, die wie verschwundene und ermordete Menschen aussehen. Eine der virtuellen Personen verrät Stiller, dass auch seine Welt nur eine Simulationswelt ist. Er ahnt nun, dass Vollmer und die Zeugen seines Mordes einfach >wegprogrammiert< wurden, und macht sich auf die Suche nach einem Ausgang in die >reale Realität<. Wir haben es also mit einer vertrackten Handlung zu tun, die dem Zuschauer von 1973 nicht wenig Imaginationsfähigkeit abverlangt haben dürfte. Die sparsame Inszenierung von Computertechnik liefert zudem wenig Projektionsfläche ftir den skurrilen Plot. Ab und zu werden Server-Räume gezeigt und eine Videowand, die Szenen aus der Simulationswelt zeigt. Diese sind an ihrer Farbarmut (im Vergleich zur simulierenden Welt) zu erkennen. Der Unterschied dieser Simulation zur richtigen Welt ist wiederum optisch nicht deutlich markiert, um dem Zuschauer nicht vorab schon zu verraten, dass etwas nicht stimmt. Ein weiterer Anhaltspunkt ftir den Zuschauer ist die Diskursivierung der Simulation. Die Charaktere sprechen von den Welten in den Kategorien »oben« (>realere< Ebene) und >>Unten« (>simuliertere< Ebene). Damit wird, über das interessante topologische Denken von Wirklichkeit(sstufen) hinaus, auch eine theologische Ebene berührt. »Üben« ist die COMPUTER IM FILM 309 Götterwelt der Programmierer und User. Bei Fassbinder sind diese jedoch >Teufel< im Wortsinne: Verwirrer und Durcheinanderwerfer. Sie konstruieren Realitäten und Erscheinungen von Bewusstsein, die sich über ihren Status nicht sicher sein können und ständig von >Löschung< bedroht sind. Stiller ist mit philosophischem Grundwissen ausgestattet (worden) und beginnt recht bald Platons und Aristoteles' Ideen-Lehre zu durchdenken und mit seiner Situation zu vergleichen. Der cartesianische Zweifel, der an ihm nagt, wird zudem mehrfach ethisch umgedeutet: Zum einen wird die Frage aufgeworfen, ob A vatare mit einem derartig ausdifferenzierten Bewusstsein überhaupt >Mittel zum Zweck< sein dürfen oder ob dies nicht dem Menschenbild seit der Aufklärung widerspricht. Zum anderen steht bei ihm natürlich die Angst vor der Möglichkeit im Raum: Wie selbstbestimmt ist der Mensch noch gegenüber Maschinen, die, wie Simulacron, den »Sprung zum autonomen Computer« (Zitat aus dem Film!) bereits vollzogen haben? Zahlreiche Filme haben die computergenerierte virtuelle Realität für ihre Erzählungen um Verschwörungen und Dystopien genutzt. THE THIRTEENTH FLOOR {J. Rusnak, D/USA 1999) basiert, wie WELT AM DRAHT, auf Daniel Galouyes Roman Simulacron-3 von 1964. Hier wird jedoch (noch) mehr auf der Ethik der Cyber-Wesen und der Erkenntnistheorie des >Ebenenwechsels< insistiert. Hilary Putnams einschlägiges Gedankenexperiment vom Gehirn im Tank hat seine filmische Entsprechung im ebenfalls 1999 erschienenen THE MATRIX (A. Wachowski/L. Wachowski, USA/AUS 1999) gefunden. Hier werden alle Elemente einer >Mensch im Computer-Erzählung< verarbeitet und massenkompatibel philosophisch wie theologisch aufbereitet. Dass der Film so erfolgreich werden konnte, mag vielleicht gerade an seiner (er Iösungs-)mythologischen Erzählung liegen, die kurz vor Ende des Millenniums unterschwellige wie ganz reale Ängste vor den Folgen der Techniknutzung (etwa dem Y2k-Bug) verarbeitet hat. EINSTURZ/ABSTURZ 1982 erscheint einer der für die damalige Zeit innovativsten Computerfilme: TRON (S. Lisberger, USA I 982), der eine zentrale zeitgenössische Frage stellt: Wie hat man sich das Innenleben eines Computers vorzustellen? Welche Bilder sind flir die abstrakten Metaphern des Programms, der Schnittstelle, der Datei überhaupt angemessen? Zu einer Zeit, da Computer gerade die Kinderzimmer erobert hatten, ist dies eine vor allem ftir die Eltern nicht unwichtige Frage. Und TRON gibt darauf eine sehr gegenständliche Antwort: Anthropomorphe Wesen sind es, die den Computer der Firma ENCOM bevölkern. Diese nutzt seit kurzem das Master Contra! Programm, ein betriebssystemartiges Meta-Programm, welches die Funktionen aller anderen Prozesse im Rechner überwacht - vor allem aber die Schnittstellen, durch die Daten in den und aus dem Computer in die Welt gelangen. Das MCP wird allerdings bedroht von einem >>Unabhängigen Monitorprogramm« namens Tron, mit dem der Firmenangestellte Alan die Spuren der im Unsichtbaren ablaufenden Prozesse sichtbar machen will. Das Tran-Projekt wird daher durch das MCP stillgelegt. Zudem ist der ehemalige Firmenangestellte Flynn damit beschäftigt, sich bei ENCOM einzuhacken, um den Beweis daftir (zurück) zu erhalten, dass 310 STEFAN HöLTGEN das lukrativste Programm, das fiktive Spiel Space Paranoid (sie!), ihm gehört. Die Wahrheit über seine Urheberschaft ist noch irgendwo im System verborgen und so entschließen sind Alan, Flynn und seine Freundin Lora, nachts bei ENCOM einzubrechen und in den Computer einzudringen. Der MCP ist jedoch gewappnet, digitalisiert über eine neuartige, experimentelle Schnittstelle Flynn und >saugt< ihn in den Computer hinein (vgl. Abb. 6). Dort sieht er sich der despotischen Willkürherrschaft des MCP ausgesetzt. Programme aller Art, die den Glauben an ihren User nicht freiwillig aufgeben wollen, werden interniert und in einer elektronischen Arena von Gladiatoren in Videospielen (aus-)gelöscht. Als Flynn sich als User zu erkennen gibt, brechen die Programme Tran und Yori (ein Programm Loras) zusammen mit ihm aus, um zu einer Schnittstelle zu gelangen, von wo sie einen Code des Users Alan in Empfang nehmen, der die Herrschaft des MCP endgültig beendet. Abb. 6: Flynn wird in TRON gerastert und digitalisiert Die Anthropomorphisierung und damit Sichtbarmachung elektronischer Prozesse (selbst »Ja-/Nein«-sagende Bits fliegen durch diese Cornputerwelt) wirkt streckenweise wie ein naives Technikmärchen. Dies beginnt bereits beim Eintauchen in die Computerwelt, das wie ein Hubschrauberflug in eine Stadtlandschaft inszeniert wird. Damit wird nicht nur ein Match-Cut zwischen Stadt und Datenwelt realisiert, sondern auch eine visuelle Brücke flir die Anthropomorphisierung geschlagen: Das Leben im Computer ähnelt dem Leben in Städten. Die Metaphorik schlägt bis in kleinste Details (Straßen, Sportarenen, Kirchen, ... ) durch und stellt sich in die Tradition jener populärwissenschaftlichen Literatur zum Computer, die der Allgemeinheit seit den 1950er-Jahren nahebringen will, was es mit diesem Apparat auf sich hat und dabei immer wieder bildliehe Analogien benutzt. Film als Medium ist hier an der exponierten Stelle, diese Sprachbilder endlich durch Lautbilder ersetzen zu können. Darüber hinaus ist TRON aber auch eine luzide Parabel, beschreibt virtuelle Phänomene, die erst zwei Jahrzehnte später real werden. Das TranProgramm wird mit den Attributen eines Paketfilters und Trojaners versehen, das MCP hat Funktionen eines Betriebssystems und einer Firewall. Überdies bedient sich die Geschichte von Flynn und ENCOM computerhistorischer Gründungsmythen. Es wird von Garagen-Unternehmen, Softwarediebstählen und dem Videospieleboom (Space Paranoids ähnelt im Titel sogar dem berüchtigten Spacewar!) erzählt. Die Welt im Computer wird mit den farbigsten Begriffen beschrieben: Der MCP beschwert sich etwa bei seinem Skla- COMPUTER IM FILM 311 ventreiber Sark: »Programme fliegen mit einer gestohlenen Simulation durch das System!«, und als eben diese Programme (Tran, Flynn und Yori) an ihrem Ziel, der Schnittstelle Dumont, 22 angelangt sind, raunt diese(r) bedächtig: »Alles Sichtbare muss über sich hinauswachsen und in das Reich des Unsichtbaren übergehen.« Die drei zuletzt vorgestellten Filme (es gibt etliche mehr) haben bereits gezeigt, in welcher Weise Menschen und Maschinen in Kontakt miteinander treten, worin die Gefahren und die Chancen gesehen werden. Der Sache gemäß recht häufig geht es in diesen Filmen um ontologisch fundierte Verschwörungen; interessanterweise sind aber auch nicht selten Gewalt und Krieg zentrale Motive. Aggression lässt sich im Virtuellen ausagieren, ohne dass sie reale Konsequenzen hat. Krieg kann im Computer als Spiel durchgespielt werden. Macht kann über künstliche Menschen ausgeübt werden, ohne dass die Moralität darunter leidet. Was für unsere Alltagserfahrung stimmen kann, wird in diesen Computer-Filmen allerdings hinterfragt, problematisiert und ins Extrem gedacht. Spiel-Filme Was den Computer für den Betrachter der bisher diskutierten Filme unheimlich macht, ist selten allein seine physische Präsenz. Es ist vielmehr die in ihr verborgene Fähigkeit, scheinbar Denkprozesse durchzuführen, Intelligenz zu simulieren, zu lernen und dem Menschen darin ähnlicher zu sein, als es ihm lieb ist. Erst die Software macht aus der Maschine einen Computer und aus dem Filmcomputer eine Projektionsmaschine. In den Jahrzehnten, in denen der Computer sich langsam als Motiv in der Filmgeschichte etablieren konnte, ist das Verständnis seines >eigentlichen Charakters< parallel zur Selbstverständlichkeit, mit der die Maschine auch in den Alltag und die Privathaushalte Einzug gehalten hat, stetig gewachsen. Mussten Computer in den Filmen der 1950er oft noch durch Roboterkörper anthropomorphisiert oder turmhohe Maschinen-Bauten in ihrer Monstrosität als Gefahr veranschaulicht werden, so ist der Hardware-Software-Übergang heute verstandesmäßig so weit vollzogen, dass jeder Zuschauer von THE MATRIX weiß, dass das eigentliche Problem nicht auf der Maschinenoberfläche zu suchen ist. Die Ähnlichkeit der Künstlichen Intelligenz zu menschlichen Denkprozessen macht also trotz oben zitierter Kritik Taubes das Unheimliche der Computer im Film aus, weil sie die qualitative zugunsten der quantitativen Eigenschaft des Apparats anspricht. Rechnerische Geschwindigkeit kompensiert dabei mangelnde Komplexität des >Denkvorgangs<, dessen Basis ja bloß zwei Schaltzustände sind. Die Tatsache, dass Computer (als Emergenzmaschinen) mehr sind, als man diesen Nullen und Einsen ansieht, hat wohl schließlich dazu geführt, auch hinter komplexeren Rechenoperationen mit sozialen Dimensionen eine kühl kalkulierende Entscheidungsahwägung Ga/nein) als ethisches Prinzip zu vermuten. 22 Abermals eine christliche Metapher: Dumont ist ein heiliger Berg, zu dem sie reisen und auf dessen Gipfel sie eine göttliche Botschaft von Alan empfangen! 312 STEFAN HÖLTGEN Eine auf zwei Alternativen basierende Handlungslogik ist zunächst nicht unheimlich. Sie wird es jedoch, wenn emotionale und soziale Faktoren vollständig ausgeklammert werden- wenn sie in >kalte Rationalität< mündet und auch moralische Entscheidungen nur noch auf Basis von Datenlagen getroffen werden (wie sich in 2001- ASPACE ÜDYSSEY gezeigt hat). Gerade dies hat die Warnungen der >kritischen Computerliteratun in den vergangenen Jahrzehnten befeuert, die einen »Imperialismus der instrumentellen Vernunft«23 am Werke sieht. Geht dann die Bedrohung nicht vom Computer selbst, sondern von dessen User aus, wird dahinter oft ebenfalls diese vom Rechner übernommene >kalte Rationalität< vermutet. Am deutlichsten zeigt 24 sich dies am Diskurs über Gewalt und Computerspiele und deshalb natürlich auch in Filmen, die Computerspiele zum Thema haben. Hier werden Menschen von der Maschine programmiert, über die Beschaffenheit der Realität getäuscht und in die Kriminalität getrieben. In TRON, in dem es bereits zentral um Spiele ging, hatte der Computer seinen User wortwörtlich digitalisiert und in eine virtuelle Spielhölle gezogen, um ihn dort in einer Art Videospielarena auf Leben (1) und Tod (0) zu testen. Wirft man einen Blick auf die ausgeklügeltstell >Spiel-Filme< der vergangeneu Jahre, lässt sich leicht feststellen, dass gerade die umgekehrte Variante, in der Spiel und Wirklichkeit zur Deckung gelangen, stetig populärer geworden ist. David Cronenberg, der die Verwischung fiktionaler und faktionaler Ebenen bereits häufiger zum Gegenstand seiner Filme gemacht hatte, wirft mit dem oben bereits angesprochenen EXISTENZ die diesbezügliche Grundfrage noch einmal auf: »Sind wir noch im Spiel?«, fragt am Ende einer der Videospieler, nachdem sich ein terroristischer Überfall, der eigentlich Gegenstand des Spielplots war, nun auch in der >realen Wirklichkeit< zugetragen hat. Die Frage beantwortet der Film nicht, sondern schaltet nach dem Schuss des Terroristen in die Schwarzblende - und gibt damit den Zweifel über die Realitäts- bzw. Virtualitätsebene an den Zuschauer weiter, denn es war ja auch irgendwie dieser (bzw. der Film), welcher da mit einem Schuss in Richtung Kamera an sein Ende gelangt ist. Eine eher positive Konnotation erfahrt das Motiv in A VALON (M. Oshii, J/PL 2001). Dort spielen die Menschen in einer trostlosen Welt verbotene Videospiele, um der Tristesse ihres Alltags zu entfliehen. Das Aufdecken eines letzten geheimen Levels, der Class Real, fuhrt sie schließlich in eine Simulation, die der Zuschauer-Welt in all ihrer Buntheit in nichts nachsteht, von den Spielern jedoch als Utopie erfahren wird - eine Inversion des Themas aus WELT AM DRAHT. Zumeist sind die Protagonisten der >Spiel-Filme< jedoch Jugendliche, die insbesondere in der Homecomputer-Ära auch das Zielpublikum der Filme bildeten. Von solch einem vom Computer zum Hacking und Gaming verführten Jugendlichen erzählt WARGAMES (J. Badham, USA 1983). Der Jugendliche David ist ein netter und intelligenter Zeitgenosse, der sich nur gelegentlich mit seinem JMSAI 8080-Computer in BBS-Netze hackt (vgl. Abb. 7), um 23 J. Weizenbaum: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, S. 33 7ff. 24 in meinem Essay zeichne ich diesen Mechanismus medien- und kulturhistorisch nach. Vgl. Stefan Höltgen: Killerspiele. Computer - Gewalt - Zensur, Berlin 2011. COMPUTER IM FILM 313 gratis Spiele auf seinen Computer zu laden oder seine Schulnoten zu ändern. Dabei gerät er eines Tages an eine Telefonnummer, hinter der sich der Zentral-Rechner des NORAD, W.O.P.R. (War Operational Plan Response), verbirgt. David hält das Menü, das sich auf seinem Bildschirm aufbaut, für eine Spieleliste, aus der er den Punkt »Global Thermonuclear War« auswählt und damit den Atomkrieg in die Wege leitet. Abb. 7: Hacking für den Atomkrieg in WARGAMES WARGAMES wirkte zu seiner Zeit nicht deshalb so erschütternd, weil er ein Bild von der verdorbenen Jugend zeichnete, sondern weil er die atomare Katastrophe, die 1983 mehrfach die gesamte Menschheit bedrohte, quasi als Computerfehler vorführte. Anders als die anderen >Spiel-Filme< der 1980er Jahre baut diese Utopie nicht auf einer besonders realistischen Spiel-Grafik auf, sondern umgekehrt: Die starke Abstraktion der auf Davids Bildschirm gemalten Umrisse von USA und UdSSR ist es, die dem jugendlichen Protagonisten so ungefahrlich wie ein Videospiel vorkommt. 25 Dass W.O.P.R., quasi als geheime Subroutine, wirklich einige Spiele wie Backgammon, Schach und Tic-Tac-Toe bereithält, macht diesen Eindruck für David nur noch authentischer. Erst als er sich der Gefahr bewusst wird und in NORAD längst die zweithöchste Raketen-Alarmstufe ausgelöst wird, weil der IMSAI das Programm auch auf die dortigen Monitore überträgt, begreift David, dass das Ganze allein für die Maschine ein Spiel ist: »ls this a game or is it real?«, tippt er in den Computer ein. Dieser antwortet: »What is the difference?« Spätestens hier wird dem Zuschauer klar, dass die digitale Ethik der Computer der komplexen Realität nicht angemessen ist und zwangsläufig ins Verderben führt. Am Ende von WARGAMES wird W.O.P.R. deshalb verschrottet - in den Raketensilos nehmen wieder Menschen ihren Platz an den >roten Knöpfen< ein. Schon die Analogie dieser Startknöpfe zu den Triggern am Computerspiel-Joystick offenbart die ähnlichen Technologien und Metaphern des Vi25 Die meisten Computerspiele mit dem Atomkriegsmotiv reduzieren das Schlachtfeld auf solche groben Skizzen, wodurch auch eine trügerische moralische Abstraktheit des Geschehens zum Ausdruck kommt. Vgl. Stefan Höltgen: »Spielen (in) der atomaren Situation. Atomkriegsszenarien im 8und 16-Bit-Computerspiel<<, in: Rudolf Thomas lnderst/Peter just (Hg.), Contact - Conflict - Combat. Zur Tradition des Konfliktes in digitalen Spielen, Boizenburg 2011, S. 73-92. 314 STEFAN HöLTGEN deospielsund der Kriegsmaschinerie in erstaunlicher Weise. Wen wundert es da, dass der Krieg immer schon ein beliebtes Videospiel-Sujet gewesen ist? Im Prinzip beruhen schon die ersten ballistischen Simulationen wie Tennis jor Two (1958) oder Spacewar! (1962) auf der Kriegskunst des Werfensund Schießens. Und andererseits: Dass heute Videospiele eingesetzt werden, um Soldaten zu trainieren, leitet sich aus der Geschichte des Mediums ab? 6Auch die Idee hierfür hat Eingang in einen Film der 1980er-Jahre gefunden: In THE LAST STARFIGHTER (N. Castle, USA 1984) wird von Außerirdischen ein Videospiel-Automat auf der Erde aufgestellt, um unter den Jugendlichen, die es bis ins letzte Level schaffen, Rekruten flir die »Star Liga« auszuwählen. Das ist eine Kampftruppe, die das Vordringen eines galaktischen Bösewichtes verhindern soll- und letztlich also auch die Erde beschützt. Der Jugendliche Alex erreicht dieses Level und wird auch prompt abgeholt, um zum Weltraum-Soldaten zu werden. Nach einigem Hin und Her entschließt er sich, diese Chance anzunehmen und reist mit seiner Geliebten zu den Sternen. THE LAST STARFIGHTER denkt hier einen Aspekt der Geschichten der übrigen <Spiel-Filme« weiter: Die zumeist jugendlichen Helden an der Schwelle zum Erwachsenwerden suchen nach einer eigenen Identität, die sie im Umgang mit dem Computer gefunden zu haben glauben. 27 Denn gerade im Zeitalter der Homecomputer zeigen Firmen wie Atari, Nintendo und Coleco, dass sich >spielerisch< Vermögen erwirtschaften lässt. Warum also soll Videospielen kein Beruf oder keine Bestimmung sein? Für Alex wird es eine, denn mit THE LAST STARFIGHTER findet er die Lösung gleich zweier Probleme: Es hilft ihm (im Wortsinne), aus dem Alltag zu fliehen und nimmt ihm die Entscheidung ab, sich einen Lebensweg zu erarbeiten. Er wird einfach Sternen-Krieger. Konvergenz/Schluss Dass ihm diese Entscheidung so leicht fällt, liegt an der simulativen Ähnlichkeit zwischen Alex' Videospiel-Weit und der >Weltraum-Welt<, in die er entfUhrt wird. Der Trick, mit dem der Film diese Ähnlichkeit dem Zuschauer glaubwürdig macht, ist gleichermaßen unbewusst wie genial: Alle Szenen, die außerhalb der Erde spielen, sind als Computer-Animationen in den Film eingefügt. THE LAST STARFIGHTER ist damit einer der ersten Filme, in dem CGI in größerem Maße eingesetzt und der Filminhalt digital wird. Hier schließt sich der Kreis zu den hyperrealistischen Spiel-Szenarien aus EXISTENZ und AVALON. Und so wie der Film das Videospiel zum Thema macht, wird seit der frühesten Videospielzeit auch der umgekehrte Weg beschritten 26 Vgl. Claus Pias: »Synthetic History<<, in: Archiv für Mediengeschichte. Themenheft: Mediale Historiographien (1 /2001), online: http://www.unidue.de/-bj0063/texte/history.pdf [letzter Zugriff am 16.06.20 11]. 27 Vgl. S. Turkle: Die Wunschmaschine, S. 75ff. Ein Großteil der heute kanonischen Studien von Turkle zur Computerkultur basiert auf der Befragung von Kindern und Jugendlichen zu deren Umgang mit dem Computer. Das Bild einer Computerjugend, das sie dabei herausarbeitet, findet sich in den Protagonisten der zeitgleich entstandenen Filme (wie WARGAMES oder THE LAST STARFIGHTER) beinahe wortwörtlich umgesetzt. COMPUTER IM FILM 315 und Filme werden zu Spielen gemacht. Das Erfolgsspiel Pac Man wird 1982 zur TV -Serie, Super Mario Bros. 1993 zum ersten einer bis heute anhaltend erfolgreichen Kette von Kinofilmen nach Videospielvorlage. Der Erfolg dieser gegenseitigen Adaption liegt wohl vor allem darin begründet, dass es zumeist die Computerkids von damals und heute sind, die diese Filme besonders gerne und häufig sehen. Und diese hat man dann natürlich gleich am Kinoeingang wieder abgeholt und die Fiktionen mit WARGAMES oder THE LAST STARFIGHTER in >Spiele zum Film< verlängert. So zeigt sich die enge Beziehung zwischen Kino und Computer insbesondere in dieser Cross Promotion von Videospiel und Spielfilm, die sich wechselweise zu Paratexten machen. Dies funktioniert vor allem deshalb, weil sich die Erzählverfahren von Computerspiel und Film einander angenähert haben, Filme heute genauso Erzählstrategien und Optiken des Computerspiels nutzen, wie diese Filmszenen und -dramaturgien zur Etablierung ihrer Spielehandlungen. Der Computer als technisches Artefakt rückt dabei in den Hintergrund, bildet allenfalls die techno-ideologische Grundlage dazu. Davon abgesehen zeigt er sich jedoch heute in beinahe jedem Film als Ausstattungsgegenstand. Die filmische Allgegenwart dieser Technik ist Ausweis für seine vollständige Diffusion in alle gesellschaftlichen Bereiche. Seine Eigenschaften als Projektionsmaschine hat er dennoch nicht eingebüßt. Immer noch werden Filme aller möglichen Genres über Computer gedreht, in denen die unterschiedlichsten Aspekte der Technikakzeptanz thematisiert werden. Und was wir aus diesen Filmen über Computer erfahren, sagt wie schon in den allerersten Computerfilmen mehr über uns als über die Computer. Literatur Carter, James: Starring the Computer. Computers in Movies and Television, o.J., online: http://www.starringthecomputer.com [letzter Zugriff am 15.09.2011]. Ceruzzi, Paul E.: Eine kleine Geschichte der EDV, Bonn 2002. Florin, Alexander: Computer im Kino. Die narrative Funktion von Computern in US-amerikanischen Filmen, Nordersted 2009. Höltgen, Stefan: Pionier der Computerzeit Emil. 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