Stefan Höltgen I Michael Wetzel (Hg.)
Killer/Culture
Serienmord in der populären Kultur
BERTl +FISCHER
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Fritz Thyssen Stiftung für \-vissenschaftsförderung
Redahtion:
Miriam-Maleika Höltgen, M.A.
Redahtionelle Mitarbeit:
Marictta Bertz, Marco Heiter, Barbara Heitkiimper,
Miriam Hutter, Matthias Weiß
Fotonachweis:
Umschlag vorne: Dexter
Umschlag hinten: Dexter, TI JE TEXAS CIIAINSAW MASSACRE,
Manhunt (Videospiel), PEEPINC TOM
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Archiv der Autor/innen, Internet
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Wrangelstr. 67, 10997 Bcrlin
Druck und Bindung: druckhaus köthen, Köthen
Printed in Germany
ISBN 978-3-86505-399-2
© 2010 by Bertz
Killer-Spiele
Ki II er-Spieie
Serienmord und Serienmörder im Videospiel
Von Stefan Hältgen
D
as Motiv des Seri e nmords und des Seri e nmörde rs ist in alle n M edienga ttunge n ve rtret e n.
Vorrangig in Lite ratur und Fi lm, jedoc h e be nfalls
im Com ics 1, in de r bi lde nden Kun st, de r M ale re F',
Musik ', Fotografi e·' und im V ideospie L Das Videospie l gre ift es als letzt es- e twa zu Beginn de r
1980e r Jahre - auf. Dies hat t ec hno logisc he und
ku lturhistorisc he Gründe, d ie im Fo lge nd e n e rört ert we rde n solle n. Ich will zunächst versuchen eine
allere rst e C hronik des Kill er-S pie ls; na chzuzeichne n
und anb and di ese r auf m edie ntypisc he Ästh etiken
und Narrationsstrategien aufm e rksa m mac he n. Z ugle ic h solle n di e inte rmedia le n Bezüge de r Spie le
- insbesonde re zum Spie lfilm - und e ine Progressionsästh etik, di e be i Krimi- und Horror-Suj ets ni cht
unübli ch ist, anband de r Techn ik de r Spie lsyst e me
he rausgeste ll t we rde n.
Wi e be i de r Auseinande rsetzung m it de r kün stle risc he n Ad aptio n von Seri e nmord unumgä nglic h,
stößt man auch bei Videospie len zum Motiv auf Eingrenzungs- und Definiti onsproble me. Diese e rhalten
- darum soll es am Ende me ines Textes noc h e inm al ze ntral ge he n - vor dem Hinte rgrund de r Medi e ngewaltd ebatte zudem e ine besonde re Brisa nz.
Das Videospiel hat als di e jüngst e Kunstgattung
ga nz beso nd ers mit Vorurte ile n und Ängs te n, Anfe indunge n und Ze nsur zu kämpfe n. In de m M aß e,
wie di e Tec hno logie der V ideospie le fortsc hre itet,
find e n d arin imme r häufiger Se ri e nmord-The me n
Platz und trage n di e Zensur- und Ve rbotsde batten
aus de m zuvo r ve rte ufe lt en M edium Film ins Vi deos pie l.
Oie D efinitionsprobleme beginne n be re its m it
der Frage, ab wann Serienmord als solche r bezeich-
net we rd e n kann .'' Di ese Proble me we rd en auc h in
di e Medi e n und d e re n Fiktionalisierung des Tattypus getrage n . Im Videospie l e rhält die Frage, ob es
sich um Se ri e nm ord hand e lt, und we r de r virtue lle
Serie nmörd e r ist, e ine zusätzli che Komp li zie run g
dadurch, dass es in se hr vie le n Spiele n um das repetitive Töte n virtue ller Spielfi guren geht . Ich halt e
es dah e r für sinn vo ll , fo lge nd e Eingre nzunge n vorzune hme n: Ki lle r-S pie le sind e rstens solche Spi e le,
in dere n Pe ritext e n (im T it e l, de r An le itung, d e n
Cut-Sce nes usw.) e in zum Synset >Se rie nmord <gehöre nd er Beg riff (a lso Beg riffe wie >Se ri e nkille r<,
>Seria l Ki lle n , >Psyc hoki lle n usw.) ode r de r Name
e ines krimin alhistorisc hen Serie nmörd ers auftau cht.
Zwe itens solche Spie le, in de nen der Spie ler di e Fi gur e ines Ermittle rs übe rnimmt, de r in fiktiona le n
ode r krimin alhistorisc he n adaptie rten Settings Jagd
auf den/di e Se ri e nmörd e r ma cht. Dritte ns solche
Spie le, in de ne n d ie Spie lfi gur Opfe r eines Se ri e nmörd e rs we rd e n kann. Und vie rte ns solche Spi e le,
in de ne n de r Spiele r di e Figur eines Serie nmörd e rs
übernimmt und and e re Spie lfi gure n töten muss .
Für all e vi e r Mögli chke it e n gibt es Be ispi e le in
de r Videospie l-G esc hi c hte . Am - in me hrfac he r
Hinsicht - proble matisc hste n dürfte jedoc h d ie
letzt e Katego rie sein; v. a. Action-Shooter, zum al
solche, di e aus de r First -Person-Perspe ktive ges pie lt
werde n, abe r au ch Action-Adventures biete n d e m
Spieler di e Möglic hke it, die Ro lle e ines Mehrfachtäters zu übern e hme n. Fasst man an di ese r Ste lle das Phänome n >S e ri e nmord< zu we it, müsst e n
darunte r abe r noc h etli che ande re Spie le fa lle n:
zah lre iche Arcade-Spie le seit Spacewar 1 (M IT I
ni c ht ve röffe ntl ic ht 7, 1961), in welchem man mit
seinem Raumsc hiff nach und nach mehrere gegnerische Raumsc hiffe absc hieß e n muss (vu lgo: d e re n
virtue lle Besatzunge n tötet) , Autore nnspie le wie
die Burnout-Reihe (Crite rion Games I Electroni c
Arts 2002- 2008), in de ne n m an wahllos möglichst
viele virtuelle Ve rke hrste ilnehmer in wahrsche inlich
tödliche Unfä ll e ve rw ic ke ln muss, und natürli ch
sämt liche Spie le m it kri ege ri sche n Handlungsschauplätze n, in de ne n man alle fe indlichen Antagonist e n
bekämpfe n (zum e ist e rsc hi eß e n) muss . Es sc he int
also sinnvoll , d as Krite rium >se rie lles Töte n< in Subje kt wie Obj ekte n we ite r e inzugrenze n. Se ri e nmord
ist dann im Spie l, we nn die Täte rfigur aus im Spie l-
139
Stefan Höltgen
geschehen oder seinen Peritexten erwiihnten oder
- bei kriminalhistorischen Tiitern - im Weltwissen
des Spielcrs bekannten psychopathologischen Motiven mehrere virtuelle Figuren vor oder während des
Spielverlaufs tötet oder töten wird. Diese Definition ist kriminalistisch zwar nicht unumstritten (ich
verweise noch einmal auf die Definition Harborts
in diesem Band), hat in der Literatur- und Filmgeschichte jedoch einen recht fest eingrenzbaren
Tätertypus hervorgebracht, dessen Motive, Vorgehensweiscn und Biografie beinahe genretypischen
Tradierungcn folgt. Nur bei.nahe genretypisch deshalb, weil Killer-Spiele wie auch Serienmörderfilme
kein eigenes Genre bilden, sondern sich als Motiv
in mehrere Genres einschreiben. Es gibt Serienmörder in Action-, Arcade-, Adventure-, Shooter-,
Stragie-, Fighting-, Pm.zle-, Escape- und Point-andClick-Spielen. Für meinen Beitrag habe ich 30 Spiele recherchiert und teilweise· gesichtet, das heißt:
an- oder durchgespielt. Einzelne davon werde ich
im Folgenden detailliert vorstellen, v. a., wenn diese
das Motiv Serienmord zentral behandeln. Andere,
in denen der 'E1ttypus am Rande auftaucht, finden
nur kursorische Erwiihnung.
Eine kleine Killer-Spiel-Chronologie
Zunächst Statistisches: Die 30 nachfolgend behandelten Killer-Spiele sind zwischen J 983 und 2010
erschienen bzw. werden noch erscheinen. Damit
laufen sie neben Home- und Personal-Computern
(im Folgenden PC) auf fünf Konsolen-Generationen
der 8-, 32-, 64-, 128- und 256-Bit-Ära. Sechs Spiele sind in den 1980ern, fünf Spiele in den 1990ern
und 19 Spiele seit dem Jahr 2000 erschienen (davon allein acht im Jahre 2009). Bei zehn der Spiele handelt es sich um Exklusivtitel (die nur für ein
Spielsystem erhältlich sind), die meisten wurden
für drei und mehr Plattformen adaptiert- zumeist
für verschiedene Konsolen, Handhelds, Handys'"
und Homecomputer/PC um möglichst alle Marktsegmente zu bedienen. Bei zwölf Spielen handelt es
sich um Action-Spiele (und deren Subgenres: ActionAdventure und Action-Shooter), neun Spiele lassen
sich dem Adventure-Genre zurechnen, drei (die Serial-Killer-Reihe, 2009 von 123bee veröffentlicht)
sind reine Point-and-Click-Spicle, eines (City Killer,
140
1987, Franksoftware) ist ein Arcade-Spiel und eines
(Bat man: A rhham Asylum, Rocksteady/Eidos 2009)
bedient im Spielverlauf mehrere Genres. Sechs Titel hatten eine oder mehrere Fortsetzungen, drei
basieren auf kriminalhistorischen Fällen (Jack the
Ripper) neun Titel auf filmischen Vorlagen. Eines
der Spiele ist ab zwölf Jahren freigegeben, sechs ab
16 Jahren, fünf ab 18 Jahren, eines von diesen ist
von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Medien (BPjM) indiziert worden und drei wurden
wegen Verstof;es gegen § 131 StG B beschlagnahmt.
14 Spiele haben keine Einstufung, weil sie entweder
(noch) nicht in Deutschland erschienen sind oder
vor 1994 auf dem Markt kamen. Erst seither prüft
die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)
Spiele und vergibt Altersfreigaben.
Die 1980er: Pixel Killer
Zu Letzteren gehören auch gleich die frühesten
Killer-Spiele. Im Jahre 1983 veröffentlicht das
Software-Haus Wizard Video zwei Spielmodule
für Ataris VCS-Konsole, kurz nachdem Atari das
VCS-2600-Nachfolgemodell 5200 auf den Markt
gebracht hatte. Mit lizenzierten Spielfilm-Adaptioncn hatte die Firma das Videospid-Gcschäft Anfang
der 1980er zu einer ersten Blüte getrieben, bevor es
1983/84 beinahe vollständig zusammenbrach. Man
könnte das Erscheinen der für erwachsene Spieler
vorgesehenen Titel I-lalloween und The Texas Chainsaw MassaCJ-e schon allein vor diesem Hintergrund
erklären, waren Ästhetiken zu Zeiten von Medienumbrüchen (Kino vs. TV) doch stets einer radikalen Reform unterzogen worden, um einen Neubeginn mit veränderter Nutzerschaft zu wagen. 1m
Action-Spiel Halloween übernimmt man die Rolle
der aus dem John-Carpenter-Film bekannten Bahysitterin Laurie Strode und rettet durch ein grof;es
Haus irrende Kinder vor dem gleichzeitig anwesenden wahnsinnigen Killer Michael Myers. Das Spiel
läuft im Prinzip so lange, bis der Killer die Spielfigur
ermordet (indem er ihr den Kopf abschlägt)- während ein Ermorden der Kinder ohne Konsequenzen
bleibt. Man kann sich gegen den Killer zur Wehr
setzen, indem man ihn mit einem Messer, das man
zuvor einsammeln muss, attackiert. Er stirbt davon
jedoch nicht (was zur Typik des Slasher-Films zählt),
Killer-Spiele
aber tritt die Flucht an. Erstaun lich
sind di e harten Splatter-Effekte des
Spiels: Gre ift der Mörder die Kin d e r ode r di e e ige ne Spielfigur an,
so sc hn e idet er deren Köpfe ab und
Pi xe l-B lut spritzt auf d e n Bode n.
Es dürfte d e r erste Splatte r-Effe kt
der Videos piei-Geschi chte sein, de r
hi e r zu se he n ist . The Texas Chainsaw Massacre versetzt d en Spiele r
in d ie Roll e d e r aus d em gle ichn amige n Tobe-Hoaper-Film bekannte
Kill er-Figur »Leath erface«. Als di ese r ve rfolgt man we iblic he Opfer
übe r e in mit Abfa ll und Knoc hen
übe rsä t es Fe ld - in d e r Hand di e
The Texas Chainsaw Massacre
tite lgebe nd e Kette nsäge . Mit ihr
d e es für da s Ninte ndo Ente rtainment Syste m (im
sägt man die Opfer in d er Mitte durc h - e in Prozess,
Folgende n NES) von d e r Firma Pack-In-Vid eo Co.
d e r aufgrundd er se hr ge ringe n Grafika ufl ösung nur
noc h einm al adap ti e rt und dab ei le icht varii e rt; v. a.
e rahnbar ist. Ebenso vage ble ibe n di e Sch reie d er
di e Fre iräum e sind nun größ er angelegt und es gibt
verfo lgten Frauen, die als heller Pi e pton ausgegeben
e ine Übe rsic htskarte . Zwa r fehl e n hi er di e Statiswerden . Im Gegensatz zu T-Talloween ge ht das Spie l
ten, dafü r sind Areade-Ele m e nte e ingebaut: Zo m für d e n Ki lle r d efi nitiv schl echt aus: Irge ndwann ist
bies (1) st e lle n sich d e r Spielfigur in d en Weg und
das Be nzin seine r Kettensäge verbraucht, d er Bildmüsse n mit Steinen od e r e ingesa mm e lten Messe rn
sc hirm w ird sc hwarz und einfinal girlläuft auf d en
bewo rfe n werden. Au c h hi er ist es das Z iel, den
mittl e rwe ile ni cht m e hr st eue rbare n Kill e r zu und
Aufe nthaltso rt des Kill e rs he rau szufinde n und ihm
ve rsetzt ihm eine n Tritt in sein Hinte rte il'
Zu d en Slasher-Film-Reihe n FR!DAY THE 13TH
in e inem Zweikampf zu begegne n.
Das erst e Kill e r-S piel, da s wahrscheinlich ni cht ''
(1980ff.) und A NICHTMARE ON ELM STREET,
auf e inem Film basie rt, ist City Killer (Franksoft (1984ff.) sind ebenfalls 8-Bit-Videospie i-Adaptionen
ware I Systems
e rsc hiene n. 1985 veröffent li cht Domare Software
für d ie Homecompute r Commod o re 64 (im FolEditoriale, 1987),
e in Acti on-S pie l,
ge nd e n C64), Sindair ZX Spectrum und Alnstrad
bei d em man aus
bzw. Schneider C PC da s Spiel Friday the 13th, in
welc he m man durc h d as Ferie nca mp C ryst al Lake
d er Ego-Pe rspe ktive e in Faden- im Fre ie n und in versch iede ne n Gebäuden - nach
kreuz übe r e ine
d em Kill er sucht und di ese n zur Strec ke bringe n
dicht >befahremuss, bevo r er alle Ca rnp -Besuche r e rmord et hat.
ne< me hrspurige
Hie rzu wäh lt m an zu Beginn e ine n von fünf C harakte re n aus und sucht d e n Gegner in e twa 20
Straße le nkt und
wahllos auf vo n
Sp ie lsettings . Da e r sic h als Urlaube r get arnt hat,
links na ch rec hts
fäll t e r unter de n übrige n Protago niste n e rst dan n
auf, wenn e r angreift. D as Spiel kombini e rt qu as i
vorbe i z ie h e nde Z ie lsche ibe n,
di e Settings de r beide n Spie le l-lalloween und The
Geldsäcke, DinoTexas Chainsaw Massacre und verhilft - wo hl auch
sauri e r ( 1), Footdurc h bessere Speicher- und Grafikmögli chke iten
Friday the 13th
- zu e ine m komp lexe re n Spie lve rl auf 1989 wurballs (7), Hunde
141
Stefan Höltgen
und Autos schießen muss. Den angedeuteten perspektivischen Hintergrund bildet eine Stadt-Skyline,
die dem Spiel zu seinem Titel verholfen hat. Man
erhält für jeden Treffer Punkte und schießt ein virtuelles Magazin mit 50 Schuss leer. Danach heif;t
es: Game ouer. Neben den Schussgeräuschen läuft
während des gesamten Spiels als Hintergrundmusik die Battle Ilymn of the R.epublic - ein Militärmarsch, was zumindest entfernt daran erinnert, dass
berüchtigte Amokschützen wie Charles Whitman' ·
bei den US-Marines das Schießen gelernt haben.
in JahrDas Spielprinzip erinnert an s」ィゥ、セウー・ャ@
marktbuden, aber die '111tsache, dass man lediglich
ein Fadenkreuz sieht und damit insinuiert wird, man
schieße aus der Ego-Perspektive einer Spielfigur,
macht City Killer im Zusammenhang mit seinem
Titel für meine Betrachtung interessant - basiert
doch das gesamte First-Person-Shooter-Genre auf
demselben Prinzip. Das 1989 für C64, NES und
PC publizierte Spiel A Nightmare an Elm Street
(Rare Ldt.) weist große Ähnlichkeit zur NES-Version von Friday the 13th auf. Bemerkenswert hieran
ist, dass das Spiel einen Wach- und einen 1l'aummoclus hat. Im Wachmodus bewegt man sich vor einer
Siclescrolling-Landschaft und muss über Spinnen,
Fledermäuse und Ratten hinweghüpfen oder diese
durch Schläge beseitigen. Man betritt Häuser und
sammelt die darin verteilten Knochen des Killers
Fredcly Krüger ein. Bewegt man sich nicht oder wird
City Killer
142
von gegnerischen Figuren getroffen, verringert sich
die >Slecp Meten-Anzeigc - ist sie bei Null angelangt, befindet man sich im CI!-aummodus, in dem
die Gegner irrealer sind. Dort begegnet man auch
dem 1raum-Killer und kann nur erwachen, wenn
man ein(en) Radio(Wecker) findet.
Die 1990er: Killer-Spiel-Serien
Das Spiel lVclXwor!? (1 99Z; Horrorsoft/ Accolade)
für Commodore Amiga (im Folgenden Amiga) und
PC basiert auf dem gleichnamigen Spielfilm aus
dem Jahre 1988 von Anthony Hickox. Es bezieht
sich locker auf die Rahmenhandlung des Films- im
Wesentlichen nutzt es dessen Handlungsschauplatz
(ein Wachsfigurenkabinett), in welchem man auf der
Suche nach dem verschollenen Bruder ist und animierten Ausstellungssubjekten begegnet. Darunter
befindet sich auch Jack the Ripper --dem man gleich
als einem der ersten Exponate gegenübersteht. Betritt man die Szenerie, findet man sich- wie in Hickox' Film- auf dem ihr zugrunde liegenden Schauplatz wieder: hier also im Loncloner Whitechapcl
des Jahres 1888. In der nächtlichen Gasse liegt
eine verstümmelte Frauenleiche vor einem und ein
wütender Mob glaubt man selbst sei der berüchtigte Ripper. Ziel der Episode ist es, die Identität
des Killers zu lüf-ten, um ihn am Ende des ersten
Spieldrittels bei einem Duell gegenüberzustehen.
Wie bei nicht wenigen Adventures
dieser Zeit wird auch in Waxwork
mit Animationen noch gespart. Der
Screen besteht aus einer Point-ofView-Perspektive auf den Handlungsort, gerahmt von Tasten und
Feldern, die für die Spielsteuerung
notwendig sind. Die Bewegungen
sind sprunghalt von Szenerie zu
Szenerie. Wohl deshalb sind die
recht blutrünstigen Bilder des Spiels
(nicht nur in der Ripper-Sequenz)
nicht so immersiv ausgefallen, dass
sie hierzulande eine Jugendgefährdung ' dargestellt hätten. Zudem
geht die Gewalt nicht vom Spieler
und seiner Figur aus, sonelern von
dessen Widersacher.
Killer-Spiele
Von d e r vie rteilige n Videos pi el-Reihe Clock
Tower (ASCII Entertainment) sind di e e rst e n drei
Folge n zwischen 1995 und 1999 für die PlayS t ation
(Teil 1 und 2 zusätzlich für den PC und das Supe r
Ninte ndo Entertainme nt System - im Folge nd en
SNES) e rschiene n. Mit ihnen hält der Serienmörd er
Einzug in das Surv ival-Horror-Genre. Im erste n Teil
cャッ」セ@
Tower - Th e First Fear (1 995 , nur in Japan erschienen) spielt man das 14-jährige Mädchen Jennifer.
Ihre Adoptiveltern verschwinden und de ren Sohn
e ntpuppt sich als »Scisso rman«-Seri e nmörde r, de r
mit eine r Gartenschere Mensche n e rmorde t . Z iel
des Spiel ist es, Jennifer am Lebe n zu erhalten - den
Kille r bekämpfen kann man ni cht. Der zweite Teil
C lock Tower (1997) schließt an de n e rst e n an: Je nniferist aufgrundder Vorkommnisse in der Psychiatrie . Währe nd die Medien das »Scissorman«-Massa ke r ausschl achten, begegnet ihr d e r tot geglaubte
Kill e r wi ed er - es st ellt sich he raus, dass es sich um
den Bruder des Täters handelt, der nun als CopycatKill e r auftritt. Der nachfolgende Teil Clock Tower 2
- The Struggle Within (1998; Age ntie) änd e rt die
Hauptfigur in di e ebe nfalls juge ndliche Alyssa Hai e,
di e nä chtens träumt, sie selbst würde Me nsche n e rmorde n, welche sie na ch dem Erwachen dann aber
tatsächlich tot auffindet. Si e e ntdeckt, dass sie von
eine m Se ri e nmörde r mit de m N am e n Mr. Bates (1)
besessen ist, den sie nur von sich fernhalt e n kann,
inde m sie ein von ihre m Vate r geerbtes Amulett
trä gt . Das Spiel greift ein Motiv auf, das nicht lange vorhe r im Spielfilm BRAINSCAN (1994; R: John
Flynn) zentra l gewese n ist '·' und inkorporiert es ins
VideospieL Die e rsten drei Folge n der Clock-TowerReihe ähne ln noch sehr dem Point-a nd-Click-Spi elprinzip aus Waxwork, wenngleich di e Figuren sich
nun bewegen - und zwa r ge nau zu dem Punkt, auf
den man im Bild kli ckt. Das Besondere an alle n
drei Spielen ist, dass die Spielfigur völlig machtl os
ist und ledi glich vor de m Kille r flü chte n kann, mit
dem Ziel, das Spiele nd e zu erlebe n. Clock Tower
adaptiert damit kon sequ e nt das final giri-Konzept
des Slas her-Films, ohne jedoch auf dessen oftma ls
phallische Konnotation zurückzugre ifen. ''
Shadow Man (1 999; Acclaim/Acclaim) ist ein
Action-Adventure mit Fantasy-Story: Als Superheld
Shadow Man muss man das Böse davon abha lten sich
der Welt de r lebend en zu bemächtige n und da zu ins
Waxworks
Totenreich reise n. Dort treiben fünf Serie nmörde r
ihr Unwese n - e iner davon ist Jack the Ripper (bzw.
Spring H eeled Jac k 1•;), der im Prologfilm des Spiels
vorgest ellt wird. Danach find e n keine Refe renze n
m e hr an ihn statt und das Spielgesc hehe n verfo lgt
auch das Serienmord-Motiv ni cht weiter.
New Millennium: Die Menschenjagd
beginnt (realistischer zu werden)
Mit de r PlayStation 2 (im Folgenden PS2), de r bis
heute meistve rkaufte n Videos piei-Konsole, betritt
im Jahr 2000 eine neue Kon solen-G ene ration das
Parkett und es findet ein bedeutsamer Epochenwandel in de r Spielästhetik st att . Reche nleistung,
Grafik- und Soundfähigkeit de r PS2 erreichen und
übertreffen die meisten zeitgenössischen Spiele-PCs
Clock Tower 3
143
Stefan Höltgen
und ermöglichen so realistischere Spiele. Davon
zehrt auch das Killer-Spiel, zuerst ersichtlich am
bislang letzten '11:il der Clock-Tower-Reihe, welcher
die Point-and-Click-Steuerung nun endgültig hinter sich lassen kann. Die im dritten Tl::il eingeführte Alyssa ist auch wieder die Hauptfigur von Clock
Manhunt
Tower 3 (2003; Capcom), die abermals ganz ohne
Waffen auf der Flucht vor einem Serienmörder ist
und nebenher ihre verschwundene Mutter zu finden versucht. Ein neues, interessantes Element des
Spiels ist, dass die Angst der Figur je nach Bedrohungssituation so stark wird (sichtbar an einem anwachsenden Panik-Balken), dass Alyssa beim Erreichen des Maximums kaum noch steuerbar ist. Dies
überträgt sich als sich stetig verstärkende Vibration
durch die Rumble-Funktion des PSZ-Controllers auf
die Hand des Spielers und steigert den Immersionseffekt beträchtlich. Zudem wechselt -wie später
bei Survival-Horror-Spielcn hiiufig zu sehen - die
Blickperspektive je nachdem, wohin man die Figur
steuert, was zusammen mit den flüssigen Animationen den Cineastischen Anschein des Spiels noch
unterstreicht.
Eines der populärsten und umstrittensten KillerSpiele erscheint im seihenJahrwie Clock Tbwer 3:
144
Das Action-Spiel Manhunt (2003; Rockstar/Rockstar)
für PS2, Xbox und PC. Darin übernimmt man die
Rolle eines zum Tödc verurteilten Mörders, der
von einem Medienmogul aus dem Gefiingnis geholt wird, um für diesen einen Snuff-Film zu inszenieren. Dazu wird die Spielfigur in Gegenden
versetzt, in der brutale Gangs ihr
Unwesen treiben. Man arbeitet
sich nun langsam voran, indem man
Gegner ermordet und so die eigene Ausstattung verbessert: Beginnend mit einer Glasscherbe, über
eine Plastiktüte bis hin zu mächtigeren Waffen. Die Morde müssen
in aller Ileimtücke ausgeführt werden (durch Anschleichen aus dem
Schatten, Überfall von hinten etc.)
und werden von einem Hubschrauberteam gefilmt. Dessen Bilder bekommt der Spieler zwischendurch
immer wieder zu sehen. Obwohl
das Entwicklerteam von Rockstar
sein Spiel als Satire auf die Medienwelt verstanden wissen wollte' ,
reagierten die Kritiker ablehnend
und unterstellten dem Spiel unverhohlenen Zynismus. Die Ablehnung gipfelte in einem Totalverbot von Manhunt in Deutschland wegen Verstoges
gegen den§ 131 StGB ("Gewaltverherrlichung«),
beschlossen vom Amtsgericht München I im Jahr
2004. Hierauf werde ich am Ende des Textes noch
einmal zurückkommen.
Aufgrund ihrer realistischen Ästhetik und Horrormotive wurden auch die beiden 2004 erschienenen Spiele Silent Hill4- The Room (Konami/Konami) und The Suffering (Surreal Software I Midway
Games) nicht für Jugendliche freigegeben. Bei Ersterem handelt es sich um die Fortsetzung des überaus populiiren Survival-Horror-Spielreihe Silent 1-lill
(1999-2009). Im vierten Teil, erschienen für PS2,
Xbox und PC, ist der Widersacher der Spielfigur der
Serienmörder Walter Sullivan (der bereits in Silent
Ilill2 von 2001 eine kleine Rolle spielte). Das Spiel
stellt diesbezüglich ein spinoffdes zweiten Teils dar.
Darüber hinaus unterscheidet es sich in der Konstruktion des Spielverlaufs und der Steuerung stark
Killer-Spiele
von den Vo rgiinge rn und nac hfolge nd e n Teil e n. In
de r Alptraum we lt, d ie sich hinte r den Wandl öchern
der zum Gefängnis gewordenen Wo hnung de r Spielfigur auftun, muss man de m Treibe n des Mö rd e rs
ze itweise hilfl os zuse he n, de r e ine n natürli ch auch
selbst bedro ht und ve rwund et. Ein ga nz ähnli ches
Settin g biet et der Shoote r T'he Suffering, de r für dieselbe n Plattformen erschienen ist: Ebenfall s versucht
man eine m G efän gnis zu e ntkomme n - di eses Mal
jedoch ein e m staatli che n, in de m Monster ihr Un wese n treibe n. Aus de r First - ode r wahl we ise auc h
Third-Pe rso n-Perspe kt ive kämpft man sich den Weg
frei und begegnet dabei ve rsc hi ede ne n Se ri e nmörde rn, d ie in Form der Hinrichtungsa rte n, durc h di e
sie gestorbe n sind, auftreten. Darunte r befind et sich
beispielswe ise ein wahnsinniger Ki ll e r, de r sic h als
e le ktrische Ene rgie durch di e Stromleitunge n des
G efängni sses bewegt - siche rli ch e ine Anspie lung
aufWes Cravens übernatürli chen Se ri e nmörde rfilm
SI-l OC KER (1 989), in de m sic h ein e lektro-exeku t ie rte r Se rie nmörde r durch das Stromnetz bewegt .
N ac h Clock Tower führt Th e Suffering ein weite res
neues Ele m e nt in das Kill e r-S piel ein : Oie Art, wie
man sic h G egne rn gege nübe r verhä lt - ob man sie
tötet ode r am Le be n lässt - e ntsc heidet maßge blich de n Spielverl auf Oie Möglichkeit, morali sche
Sp iele ntsc heidunge n 1' zu treffe n, ist v. a. vor dem
Hinte rgrund der virtuelle n G ewa lt anwendung eine
Be reic herung für das Videospiel, weil damit e in in te raktives Element in di e Spi elhand lu ng tritt - zuvor
war di es sc hon in de n so ge nannte n Spi elbüche rn
(game booh) zu find en, di e jedo ch nie di e Popu larität von Videospi ele n e rreichte n.
The Next Generation: Der Boom des
Killer-Spiels
Ende 2005 betritt mit Mi crosofts Xbox 360 di e
sie bte Kon sole n-G e ne ration das Spie lfe ld und
ve rhilft (zusamme n mit de r 2007 e rschi e ne ne n
PlayStation 3 von Sony - im Folge nd e n PS3) d e n
Videospi e le n zu ih re n bislang rea list ischst e n Erscheinungsfo rm e n. In nur fünf Jahre n e rl e bt das
Se ri e nmordmotiv im Videospiel eine n vorhe r ni cht
ge kannte n Boom: Spiele wi e The Suffering und
M anhunt we rd e n fo rtgese tzt, ne ue Reihe n wie
Condemned und Still Life ins Lebe n ge rufe n und
v. a. di e Spi eladapti o n von Se ri e nm ö rd e rfilm e n
wird wied e r aufge nomm e n.
Condemned: Criminal Origins (2005; Monoli th
Prod. I Sega) für Xbox 360 und PC mac ht den Anfang und wird - w ie sc hon M anhunt - in Deutsc hland zusa mme n mit de r Fortsetzung Condemned 2 :
Bloodshot (2008; Mo noli th Prod . I Sega) - aufgrund
von nGewaltve rh e rrlic hung« besc hlagnahmt - und
das, obwoh l di ese Fortsetzung, wie auch di e Fortsetzung Manhunt 2 (2007; Rockstar I Roc kstar
Games) in D e utschland aufgrund der re pressive n
Juge ndschutzgesetze ga r ni cht e rst e rschie ne n wa r.
In Condemned: Crin1'inal Origins übe rnimmt man
di e Roll e eines Polize ie rmittle rs, der nur über wenig Waffe n und Munition ve rfügt und di e meist en
Konflikte im N ahkampf (aus de r First-Pe rson -Pe rspekti ve) absolviert. D abei komme n G lassche rbe n,
Nagelbrette r und ähnli che gefund ene G ege nständ e
als Waffe n zum Einsatz, was zu recht blutige n Auseinand ersetzungen führt. Die Entwickle r des Spi els
habe n sich na c h eige ne r Aussage an Se ri e nmörde rfilm e n wi e SE 7EN (Sie be n; 1995; R: David Finche r)
und TH E SILENCE O F THE LAMB S (Das Schwe igen
der Lämmer; 1990; R: Jonathan Demme) orientie rt .
Damit ist woh l v. a. di e Ausgestaltung von Ermittle r- und T äte rfigur ge meint: Erst e re r ist - wie in
SE7EN - ein aus pe rsönliche n Motiven in eine n Serienmordfall involvie rte r FBI -Age nt; Letztere r legt
eine n ähnli che n Modus Ope randi an de n 'Thg w ie
di e nBuffa lo Bi li «-Figur aus THE SILENCE OF THE
LAMBS: De r nMat chmaker« ge nannte Seri e nmörde r gruppi e rt Leiche nteile de r Opfe r zu grotes ke n
Schaufenst e rpuppe n-Sze narie n. Oie Spi elfigur ist
nun eine rseits auf de r Suche na ch de m Se ri e nmörde r und and e re rseits - wie aus vorheri ge n Spi ele n
be kannt - auf de r Fluc ht vor de r Polizei, da di ese sie
für tatbet eiligt hält . D e r zweite Teil Condemned 2 :
Bloodshot (für PS3 und Xbox 360 e rschie nen) spielt
etwa ein Jahr na ch de m Ende des e rste n Teils. Oie
Spi elfigur ist mittle rweile de m Alkoho lismus ve rfa ll en und ge rät durch Zufall in die Fahndung nach
eine r Se kte, di e am Tod eines Koll ege n schuldig
ist. Das Spielprinzip gleicht de m des Vorgänge rsähnli ch zu Clock Tower 3 muss man in bestimmte n
Situatione n eine Flüssigkeit trinken (dort: Lave nde lwasser zur Angstbe kämpfung, hier: hochprozentige n Alkohol, damit man ruhige Hände bekommt
145
Stefan Höltgen
und gezielte Schüsse abgeben kann). Der aus dem
ersten 'H,il bekannte Serienmörder »X« spielt auch
in Teil 2 eine Rolle. Er tötet zu Beginn jenen Kollegen der Spielfigur und versucht im weiteren Verlauf Techniken einer Geheimsektenamens »Onl« zu
erlernen, mit denen er seine Fähigkeiten erweitern
Condemned: Criminal Origins
kann. Das Spiel setzt die Erzählung seines Vorgiingers
zwar fort, transponiert dessen Ästhetik jedoch in
die niichste Konsolen-Generation, sodass v. a. Grafik
und Sound realistischer wirken - man könnte dies
durchaus als >Runderneuerung< der ursprünglichen
Spielidee bezeichnen. Auger der 11Jtsache, dass die
Story paratextuell an die Serienmordgeschichte des
ersten Teils anschließt, ist das Motiv in Manhunt 2,
zu spielen auf der PS3, der PlayStation Portable (im
Folgenelen PSP) und der Nintenclo Wii (im Folgenelen Wii), nicht vorhanden. Hier übernimmt man
nicht mehr die Rolle eines Serienmörclers, sonelern
eines aus der Psychiatrie (die mit ihren Patienten
medizinische Experimente anstellt) ausgebrochenen
Mannes, der zusammen mit einem ihn zu allerlei
Brutalitiiten anstiftenden Mitausbrecher dem Übel
auf den Grund geht.
Mit Still Life (2005; Microlds I Flashpoint AG)
für PC und Xbox sowie Still Life 2 (2009; GAMECO Studios I ronclomedia) für den PC kehrt das
Killer-Spiel noch einmal zum Point-ancl-Click-Genrc
zurück. Im ersten Spiel werden parallel zwei Serienmordfälle gelöst -- der eine im Prag der späten
l920er Jahre, der andere im Chicago der Gegen146
wart. Dass sich beide Fiille iihneln und damit der
Serienmörder anscheinend die Jahrzehnte überdauert und Kontinente gewechselt hat, stellt sich bald
heraus und verhilft dem Spielgeschehen zu einem
fantastischen Element. Die Fortsetzung des Spiels
knüpft vage daran an. Die FBI-Ermittlerin aus dem
ersten 1Cil wird mit einem neuen
Fall konfrontiert, bei dem der Killer Frauen foltert, tötet und DVDs
mit seiner 1at an die Polizei sendet.
Der Spieler spielt abwechselnd
die Ermittlerin und eine Journalistin, um den Fall zu lösen. Dabei kommt es auch zu mehreren
Zeitsprüngen. Das Setting ist nun
dreidimensional und es gibt eine
Sprachausga Iw.
2005 erscheint die Fortsetzung
The Suffering 2: Ties thaiBind (Surreal Software I Midway Games),
die an den ersten Teil anschließt:
Von der Gefängnisinsel zurück in
Baltimore wird die Spielfigur bald
wieder von unheimlichen Kreaturen verfolgt und versucht, dem Problem auf den Grund zu gehen und
- dies hat sich zu einem Standardmotiv im KillerSpiel entwickelt - das Verschwinden der eigenen
Familie aufzuklären. Im Verlauf des Spiels gelangt
die Spielfigur zu einer Haftanstalt, in der man es
mit den Geistern von Serienmördern zu tun bekommt. Auch hier hisst sich wieder zwischen Firstund Third-Person-Pcrspektive wählen und auch hier
entscheidet das Spielerverhalten (gut/böse) über
den Fort- und Ausgang des Spiels. Indigo Prophecy
(2005; Quantic Dream I Atari) in Deutschland unter
dem Titel Fahrenheit für PC, PS2 und die OnlineNetzwerk Xbox Live erschienen, versetzt den Spieler zunächst in die Rolle eines Serienmörclers, der
herauszuflnclen versucht, warum er Morde begeht.
Dann übernimmt man aber auch die Rollen zweier
Ermittler, die den Mörder verfolgen- man jagt sich
also zeitweise selbst. Gerade diese Multiperspektivität auf das Phänomen Serienmord verhilft dem
Spieler zu einem originiiren Zugang zum Thema,
wie er sich wohl ausschlieJ;lich im Videospiel realisieren lässt. Eines der - zum Zeitpunkt der Produktion dieses Textes- aktuellsten Killer-Spiele ist
Killer-Spiele
Batman: ArhhamAsylum (2009; Rocksteady Studi os
bee n in vesti gating for yea rs - to escape, andin orcl e r
I Eidos) für PS3, Xbox 360 und PC basiert, w ie der
to clo so he must surv ive th e Iet hai traps ancl puzzles that J igsaw has put in place For him ancl ot he rs .
But each vict im has a dark conn ection to Tapp. Wi ll
Tappsave them 7 Ca n he survive his obsession to find
the Jigsaw kill e r?« 1 "
Titel bere its and eutet, auf de m Batman-Franc hise,
das sic h vo n den Comics ab 1939 übe r TV-Se ri e n
(1 966ff.) und Kinofi lme (1 943- 2008) bis hin zum
Videos pi e l (1 986ff.) verbreite(r)t hat. In jede m
fiktional en Superhe lden-Kosmos gibt eine Vi e lza hl
unte rsc hi edli chste r Gegner und so tritt auch Batman hin und wieder gege n Seri e nmörde r an. Im aktue lle n Spiel begeg net man während des Spiele ns
mit der Batman -Figurau ch dem psychopathischen
Kille r ZsasZ - daraufbesc hränkt sic h alle rdings de r
thematische Bezug zu di ese m Motiv.
Clicks and Cuts: Die Zukunft des Serienmords im Videospiel
Für das Jahr 2009 si nd noc h drei weitere Kill erSpiele an ge kündigt, von de ne n zwei auf filmi sche n
bzw. TV-Vorlagen be ruh en. Im H e rbst wird ein Survival-Horror-Spiel zur bislang sechsteilige n Filmreihe SAW (2004- 2009) veröffentlicht: Saw (Zo mbie
Studios I Konami) wird das >Spiel<-Prinzip der Fi lme aufne hm en und e rweite rn, wie de r Publishe r
auf seiner Webseite ver laute n lässt:
»Jigsaw has kill ed your partner and d estroyed your
life. Now he has trapped you in an abandonecl in sane asy lu m that he alone co ntrols. If you ca n clefeat
hi s brutal traps ancl survive , you m ay just di scove r
the truth be hind w hat clrives t hi s twistecl serial kil le r. ( ... ] SAW is a thircl-person perspective, survival
horror ga m e ba secl on the SAW fi lm Franchi se [ ... ] .
The time lin e for the ga m e takes p lace between th e
movi es: SAW ancl SAW II, giving th e ga m e its own
st ory, yet fittin g within th e narrat ives of th e m ov ies.
Th e story ce nters on Detective David Tapp w ho
awa kens in a cl ec repit, abanclonecl asy lum . H e has
been ca pturecl by hi s langtime ne m esis, Jigsaw. Obsessecl w ith catc hing this ser ial ki ll e r, "lap p 's mission
has co nsum ed him ancl ruin ecl hi s fa mily, resldt ing
in clivorce, mental imbalance, and abancl onment.
Wo rse yet, th is frantic hunt clestroyecl Tapp's ca ree r
wh il e he watchecl hi s long-t im e fri e ncl ancl pa rtn e r
get kill ed by one of Jigsaw 's traps. Now Ji gsaw has
the uppe r hancl ancl has capturecl the cl etective . T:C1pp
mu st p lay a clead ly ga me - the lik es of which he has
Für das App le Smartphone iPhone ist zude m ein
Puzzle-S pi el basiere nd auf de r TV-Seri e Dexter
(2006ff.)l' 1 vom Entwic kl e r Ikarus Studios und
Publisher Mare Ec ko Ente rtainment angekü ndigt.
Über den Inhalt und das Spi elprinzip von Dexter ist de rzeit no ch nic hts be kannt. Mit Sherloch
Holmes jagt Jack the Ripper (2009; Frogwares)
erscheint d er sechste Tei l der Videospie lserie The
Adventures ofSherlock Holmes (2002ff.) . Das Spiel
lässt sic h sowohl als Point-a nd-Click-Adve nture
aus de r Th ird-Person-Perspektive, als au c h als
Adventure aus de r Ego-Perspektive spi e le n. Anfang 2010 publizieren Quantic Dream und Sony
mit 1-/eavy Rain: The Origami Killer (Quanti c
Dream I Sony) ein Killer-S piel aussch li eß lich für
di e PS 3 . Aus Ankündigungen ist zu e ntne hme n,
dass d ie Entwickle r mit 1-leavy ャセ 。ゥョZ@
The Origami
Killer in ne ue grafische und st e ue run gst ec hnische
Dime nsione n vorzustoßen pl ane n . Über Ästhetik
und Setting ist aus Inte rvi ews und von verschiedenen We bse iten bislang nur beka nnt, dass es sich
an e rwa chsene Spiele r ric htet und übe r eine Filmnoir-Atmosp häre ve rfügt .
Zu gute r Letzt sind 2009 vier On line-Kill erSpiele im Flash-Format e rschie ne n, di e Plattformübe rgreife nd im We bbrowser gespielt werden. Bei
ihnen han de lt es sich um das Spiel Saw 11 sowie die
Trilogie Escape from Serial Kille1; Serial Killer Part 2
und Serial Killer 3 (allesa mt von 123bee und auf
dere n Website publizie rt" ) . Sie st ellen so ge nannt e Escape-Games na ch dem Point-and-C lick-Prinzip dar. In all e n drei letztgenan nte n Spiele n ge ht
es darum, eine von ein em Serienmörder gefan gen
ge halte ne, gefesse lte und gefolte rte Spie lfigur aus
ihrem Gefängnis zu befreie n. D azu müssen in de r
richtige n Reihe nfolge Ite ms in de re n Gefängnis ange kli ckt und miteinander kombiniert werden. Das
Setting e rinn e rt sta rk an di e SAW-Filme - insbesond e re di e Vorrichtunge n, mit de nen die Opfe r
gefesselt sind.
147
Stefan Höltgen
Dichotomie und Interaktion: Strukturen und Diskurse des Killer-Spiels
Die vorangegangenen, detaillierten Beschreibungen der Geschichte des Serienmords im Videospiel sollten zeigen, welche Ursprünge und Verlüufe das Motiv im gar nicht mehr so jungen Medium
genommen hat. Der zentrale Unterschied des Videospiels im Vergleich zu vorangegangenen Medien ist natürlich seine Interaktivität und damit das
partielle Bestimmen des Handlungsverlaufs durch
den Spieler. Dies führt zu der Möglichkeit, verschiedene neue Erzühlstrategien, Perspektiven und
moralische Entscheidungen einzuführen, die in Literatur und Film auf diese Weise darzustellen nicht
möglich gewesen ist.
Schon die Entwicklung des Serienmörderfilms
hat vor Augen geführt, dass die Authentizität in
dem Maße zunimmt, wie sich die Figuren von starren Verhaltensweisen entfernen. Bestand zu Beginn
der Filmgeschichte zumindest noch der Versuch, die
Trennung von gut, böse, schuldig und unschuldig eindeutig auf die Figuren von Tiiter, Opfer und Ermittler aufzuteilen, so ist dies seit der Schwarzen Serie,
v. a. aber im modernen Serienmörderfilm ab I 960
zunehmend hinterfragt und unterlaufen worden. An
einem Punkt der Diffusion mussten bislang jedoch
alle Filme halt machen: Der Beobachter (Zuschauer) und seine moralische Rolle im Diskurs konnten
stets nur als Passiva adressiert werden. Selbst ausgeklügelte selbstreflexive Plots, wie sie etwa in THE
LAST HORROR MOVIE (2003; R: Julian Richards)•
konstruiert wurden, können den finalen immersiven
Sprung nicht leisten: Der Zuschauer bleibt stets außerhalb des Filmgeschehens- einzig durch seine mentale, hermeneutische Verarbeitung des Plots nimmt
er teil. Im Videospiel ündert sich dies nicht nur, die
Beteiligung wird zur medialen Priimisse.
Film-Videospiele wie Halloween, The 7exas Chain-
saw Massacre, Friday the 13th, A Nightmare on Hlm
Street, Waxworh, Saw oder Dexter adaptieren nicht
bloß filmische Vorlagen für ein neues Medium, sie
ergänzen diese. Die Spielhandlung von Saw wird beispielsweise zwischen die Erziihlung des ersten und
zweiten Films situiert. Damit wird der paratextuelle Kosmos der Filmserie bereichert. Darüber hinaus
wird der Spieler in die Lage versetzt selbst den Ver148
lauf des cinstmaligen Filmplots zu beeinflussen und
so ein Stück jener Autonomie und Aktivitiit (zurück)
zu erlangen, die er als Filmzuschauer vielleicht vermisst. Die unter Filmfreunden hüufig im Kopf >durchgespielten< Fragen, was wiire, wenn nun etwas anderes geschiihe als das, was der Film zeigt, erhalten so
auf performative VIIeise ihre Antworten.
Serienmord - Serienverbot
Gerade aus dieser (Mit)Bestimmung des Spielverlauf<> durch den Spieler (die natürlich in letzter
Konsequenz auch nur dessen Annäherung an den
vorgegebenen Code darstellt, wenn dieser auch immer komplexer wird und damit immer mehr Entscheidungsfreiheit suggeriert) erwächst die seit den
1980er Jahren zunehmende Angst vor dem neuen
Medium Videospiel. Aufgrund seiner fortschreitenden mimetischen Anniiherung an die auJ;ermediale Wirklichkeit nehmen seine Kritiker an, dass in
Spielen I-bndlungen virtuell eingeübt werden, die
danach auch real nachvollzogen werden. Die gesamte >Killerspiel<-Debatte beruht auf dieser monokausalen Wirkungstheorie. Das führt dazu, dass
Spiele mit Gewaltdarstellungen bzw. virtuellen
Gewalthandlungen als Ursache für ansonsten nicht
(so einh1ch) erklärbare reale Gewalt der spielenden
Jugend angenommen wird. Dieser Erkliirungsmechanismus hat sich mittlerweile zu einem >Selbstläufen entwickelt, sodass nach jeder von Jugendlichen ausgeführten Bluttat zunächst einmal danach
gefragt wird, welche Videospiele er oder sie denn
gespielt hat. Lassen sich keine flnden, wird dies
nicht selten verschwiegen oder die >Beweise< werden schlicht behauptet''; werden hingegen welche
gefunden, so gehen die Erklärungsversuche damit
weiter, dass eine Homologie zwischen der Bluttat
und dem Spiel hergestellt wird. Dies gelingt in der
Regel deshalb, weil die Gewalt in Videospielen ja ein
reales Vorbild besitzt, welches in ihm digital kodiert
wird; reale und virtuelle Gewalt sind einander also
immer schon ähnlich -jedoch nicht dasselbe.
Medieninhalte mit Serienmord als Motiv hatten bereits in der gesamten Filmgeschichte mit
denselben Problemen zu tun. Von der Befürchtung
der Sittenverrohung durch zu starke Affizierung der
Zuschauer über die angenommene >sozial-ethische
Killer-Spiele
D esorie nti e run g< Juge ndli c he r durc h Gewa ltdarst e ll unge n bi s hin zum Vorwurf d e r Nachahmung
(das be re it s anges proc he ne Copycat-Phänom en) ist
Serienmörderfi lm e n von DAS WAC HSFIG URENKABINETT (1 929; R: Pau l Le ni) bis in di e Gegenwa rt
all es unte rst e ll t wo rd en . Et li c he di ese r Fi lm e wurd e n in D e utsc hland desw ege n vo rsic hts halbe r als
juge ndgefährd e nd ind izie rt und e inige soga r wege n "Gewa ltve rh e rrli c hung« als Straftat nach§ 13 1
StG B ge ri c ht li c h ve rbote n. Ihr Erwerb und H ande l
ist d a mit in D e utschl a nd unte rsagt.
Es so ll hi e r nun absc hli eßend ni c ht darum ge he n,
di e institu t io ne ll e Logik von Medi e n-Ze nsur und Ve rbote n gru nd sä t zli c h zu hinte rfragen (dazu ist sie vie l
zu se lbstwid e rsprüc hli c h und wi ll kürli c h), sonde rn
vielmehr de re n Befür chtunge n ein e r ange nomm e ne n
Wirkung de r Spiele zu e ru ie re n und de n Ze nsurdi skurs als Para ll e ldi skurs de r M edi e ngesc hi c hte" auf
Basis de r Rh e torik von Verbotsbesc hlu ss-Texte n nac hzuvo ll zie he n. Hi e rzu we rfe ic h nac hfol ge nd e in e n
Bli c k in di e geric htli c he n Besc hl agnahm e- Besc hlü sse
de r dre i hi e rzulande verbotenen Ki ll e r-Spie le Man hunt, Condemned: Criminal Origins und Condem-
ned 2: Bloodshot.
D e r Ric hte r am Mün c hne r Amtsgeri c ht, de r
a m 19. Juli 2004 die Besc hl agna hm e d es Spie ls
Manhunt besc hlosse n hat, ve rlä sst sic h bei d e r Z usa mme nfass ung d es Spie lgesc he he ns auf di e ihm
übe rmitte lt e Darste llu ng d e r Bundesprüfstelle für
juge ndgefä hrd e nd e M edi e n. Darin wird d e r Sp ie lve rlauf, v. a. aber die virtue ll e n Mordhandlunge n
d argelegt. Aufgrund d ieser Besc hre ibunge n kommt
der Richte r zu de m Schluss:
"Das Spiel Manhunt ist geeignet, die Entwi cklung vo n
Kindern und Jugend lichen oder ihre Erziehung zu einer eigenve rantwort lichen und ge meinschaftsfähi ge n
Persönli chkeit zu ge fährden(§ IS Abs. I JuSc hG).
Es ford ert den Spieler zur Vern ichtung mensc hli cher bzw. mensc henähnlicher Wese n auf und stellt
di ese Vorgänge detai lfreud ig und darüber hinaus so
dar, dass di e Tötungsvorgä nge als besond ers brutal
eingestuft werden müsse n. «IG
D e r Verfasse r des Beschlu sses kommt im We ite re n
zu d e r Ansi c ht, da ss "Held und Sc hurke d es Spie ls
[ .. ] e in e nahezu id e ntisc he G e ist es haltung« 2' habe n,
wom it d ie Spie lfigur (I-le id) und ihr Anstifte r, d er
Produze nt d e r Snuffshow (S c hurke) ge m e int sind.
Gena u hie rin ließe sic h ja nun der m edi e nkriti sc he
Impe tu s von M anhunt se he n - e r wird jedoc h durc h
di e Gewa ltda rst e llun ge n rege lrec ht >verste ll t <, soda ss der Ve rfa sse r zur A nsic ht ge langt: "Das Spie l
verm itte lt in e rst e r Iini e [sie] d ie Botsc haft, da ss das
Töte n vo n m e nschli c he n Wese n zu e in e m beso ndere n Spie ls paß ve rhilft, d e r noc h geste ige rt wird, je
hö he r da s Maß a n G ewa lt ist «2' und fährt fo rt:
d -Iin zuk ommt ein e G lorin zierung der Selbstjusti z, di e stets als jugendge fährd end einzustufen ist .
Während Selbstju stiz zum indest noch ein gewisses,
wenn auch ve rzerrtes Verstä ndni s von Ge rec htigke it erk enn en lässt, scheint Cas h und Starkweat her
alles erl aubt zu se in . Irge ndwelche Grenzen gibt es
ni cht mehr. Man hunt glorifi ziert somit nicht lediglich Selbstjust iz, sonde rn ga r di e vo llständi ge Loslösung vo n den grundl ege ndste n Rege ln mensc hli chen
z オ ウ。
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ウ N ᆱ セG@
Ähn li c he (e inma l soga r id e nti sc he) Formu li erunge n
find e n sic h in all en dre i Besc hlü sse n - mit je wei ls
ausgeta usc hte n Spie ltite ln. Das Amtsge ric ht Münche n ha t sic h, könnte man m e in e n, e inmal e in e Ansic ht zum Th e ma >Se lbstju sti z im V id eos pie I<ge bildet und a rgume nt ie rt d iese nun gegen jed es Spie l,
in d e m di ese Form d es Re tributivismus auftau c ht.
Jedoc h zeigt e in Verg le ich all e r dre i Guta c hte n, da ss
di ese - m it Aus na hm e d e r Z usa mm e nfassu ng der
Spie lgesc he h e n - offe nbar kon seque nt aus imme r
de nselbe n Textbaust e in e n zusammengesetzt sind; im
Besc hluss zu Condemned 2: Bloodshot wi ed e rholt
der Ve rfasser sic h (bzw. se ine Textbauste ine) soga r
m e hrfac h inn e rhalb d esse lben Textes . 1"
M arkant ist d arüber hinaus d e r Gebrauch normative r Zuschre ibunge n, mit d e nen de r Ve rfasse r
sein e An sic hte n über moralisc he Gege nst ä nd e qua
^b ・ウ」
ィャオ
ウセ@
objektivie rt: Attribute w ie "grausam«,
"unme nsc hlic h«, "Bruta lität«, "ka ltb lüti g(]«, "sinn los [] «, "mensche nve rac hte nd[] "" und Ä hnli c he find e n sic h und efiniert in all e n Besc hlüsse n . Das ist
beso nde rs beachtli c h, da es sic h ja ni c ht um rea le
Gewa lthand lunge n, so nd e rn de ren virtu ell e Simulatione n hande lt. Diese Diffe re nz mu ss d e r Ve rfa sse r
Qa, d ie Zensur übe rhaupt) aber notwe ndige rweise
149
Stefan Höltgen
überbrücken bzw. übersehen, damit Verbotsargumente zünden. Da wird von »grausame[n] oder
sonst unmenschliche[n] Gewalthandlungen gegen
Menschen«' geschrieben und der Übertrag von der
Virtualität in die Realität gleich am Beispiel exerziert:
»Zur Verharmlosung trägt auch bei, dass die vorran-
Manhunt
gigverwendeten Waffen Gegenstiinde des täglichen
Lebens sind, auf die ein potentieller Nachahmer
leicht und jederzeit zugreifen könnte.«''
Derlei verkürzte Medien-Ontologie, die Fragen,
die die Beschluss-Texteangesichts der verwendeten
Terminologie aufwerfen, und die Tatsache, dass sie
mit Hilfe von 'Textbausteinen aus einem Fundus aus
regelrechten >Vorurteilen< montiert sind und das in
Ermangelung adäquater Terminologie genutzte Begriffsinventar der Filmanalyse (»Nahaufnahme«,
»Kamerapcrspektive«, ... ) liell,e sich nun als Geringschätzung gegenüber oder Unverständnis der
Kunstgattung Videospiel verstehen. In meinem Zusammenhang ist jedoch die mögliche> kulturpsychologische Intention< viel bedeutsamer. Beinahe wirkt
das Copy-and-Paste-Verfahren wie eine wiederholte Litanei, mit der der verfemte Medieninhalt gebannt werden soll. Die (immerhin aktenkundigen)
Texte scheinen in aller Eile abgefasst, nicht arm an
150
Tipp-, Rechtschreib-und Grammatikfehlern. Auch
dies wirkt nicht blog unprofessionell, sondern liefie sich deuten.
Die bei kriminalistischen Genres ohnehin vorhandene Mimesis zwischen Wirklichkeit und ihrer
medialen Abbildung hndet im Motiv des Serienmords
ihre schrecklichste Entsprechung.
Serienmord ist ein 1llttypus, der
selten durch niedere Beweggründe wie Eifersucht oder Habgier
begründet, oft genug jedoch mit
dem Irrationalen, Vvahnsinn und
dunklen sexuellen 11-ieben in Verbindung gebracht wird. Wirklichkeitstreue Medien wie der Film
und spätestens seit der sechsten
Konsolen-Generation auch das Videospiel haben nicht mehr allein die
Funktion dieses Irrationale durch
Narrativierung zurück ins Reich des
Verstehbaren zu holen. Uingst (seit
dem Film noir) sind die Ermittler
selbst schon Tiiter geworden, wird
den Opfern eine Mitschuld zugetragen und werden die Täter durch
Psychopathologisierung zu Opfern
ihrer Biograhe und der gesellschaftlichen Umstände erklärt. Dass in
einem solch verwirrend rhizomatischen Geflecht von
Kausalitäten, Schuld, Unschuld und Mitschuld eine
Sehnsucht nach monokausalen Erklärungen und der
Wunsch, die erlebte Wirklichkeit mit der Fiktion
zur Deckung zu bringen, besteht, kann man nicht
einmal einem Amtsrichter übel nehmen.
Und dennoch hinkt die Zensur der Entwicklung auch in ihrem- wohlgemerkt hegemonialen Bestreben, Einfluss auf sie zu nehmen immer schon
hinterher. Medien dürfen hierzulande bislang nur
ex post zensiert und verboten werden. In ihnen
drückt sich zuerst die verwirrende Komplexität der
Kultur, aus der sie entstammen, aus. Und wo sie
zensiert und verboten werden, unterminieren sie
diese Praxen durch Ausweichen (jedes der verbotenen Spiele lässt sich über das Ausland beziehen)
oder Reflexion: Ein Spiel wie Manhunt nimmt die
Mediengewalt-Debatte in sich auf und lässt sie den
Spieler performativ nachvollziehen. Wird Manhunt
Killer-Spiele
nun ze nsuri e rt, reagie re n d ie Programm ie re r d es
S pie ls mit e ine r Persiflage: Bully aka . Canis Canem Edit (2006; Rockstar I Roc kstar North) ;', in
welchem di e virtuelle n G ewa lthand lunge n auf da s
Ni vea u von Schulbube n-S tre iche n he runtergebroc he n werde n.
Das Moti v des Seri enm örd ers erwe ist sich im Vi d eos pie l wi e auch in den Medi enga ttunge n, in de ne n
es zuvor aufge taucht ist, als e ines d e r innovat ivsten
und gleichze it ig streitbarst en. Be ides ist Vord e r-und
Rückseite de rselben Medaill e. Die künst leri sc he Ause inand e rsetzung mit d e m krimina listische n Phänom e n wird weite r besteh e n und sic h im Spannungsfe ld von Motivgesc hi chte und Zensurgesch ichte auf
jed es neue Medium ausd e hne n. Wi e vi e lfältig di ese
Ause inande rsetzung ist, lässt sich be re its an de n 30
vorgenan nte n Spie le n erse he n, di e da s alte Motiv
vi e lfach auf innovativste We ise >inte raktiv ie re n<. 0
6
7
8
Anmerkungen
2
3
4
5
Das pro min e nteste Be ispie l hi e rfür dürfte di e 7.w ischen 199 1 und1996 veröffen tli chte G raphi c-Nove iRe ih e Frmn 1-/ell (in einem Band 1999 e rsc hi e ne n,
in De utsc hl and 2004) von Alan Moore und Eddie
Ca mpbe ll über Jac k the Rippe r sein.
Das be kannte Portrait der He rzogin Elizabeth ßarthory
als junge Frau (Vgl. http:// bathory. org/erzsorig. html ,
Abrufdatum 16.9.2009) wä re hi er als frühes Beispi el aus
dem 16 . Jahrhundert zu ne nn en - das wahrsc heinli ch
ohne das Hintergrundwissen ihrer Se rientat e ntsta nd en ist. Be me rkenswert ist in di ese m Z usa mme nhang
auch di e Kunst vo n Se rien mörd e rn (vgl. http://www.
yuppi e punk. org/2005/ 0 1/ ki ller-a rt -se rial-ki ller-a rt -review.h tml, Abrufdatum 16.9.2009) , hi er v. a. di e Bil d e r des Se ri enmörde rs John Wayn e Gacy J r., zum eist
Se lbstportraits, hinzuwe ise n, di e di ese r t e il weise in
d e r Haft ge malt und für nicht wen ig Ge ld verkaufen
lassen hat (vgl. http://www.mu seumsy ndica t e.com/
artist .php?a rti st = 475, Abrufdatum: 16.09.2009)v
Vgl. d e n Be itrag von Ivo Ritze r in di ese m Band.
N eben Tatortfotografi e n find e n sich v. a. kün stl e ri sc he Au se inand ersetzunge n mit de m Se ri e nmord,
w ie etwa be i d em d eutsc he n TI1tort- und Kunst- Fotografe n Thomas Demand, der etwa de n I-lausAur vor
de r Wohnung des US-amerikan isc he n Seri enmörders
J e ffrey D ahm e r in Miniatur na chgebaut und fotografiert hat . Vgl. Hältge n 2006a.
Ich ve rwe nd e de n Begriff Ki ll e r-S pi e l ausschli eß li ch
als Motiv-Begriff: mit de m ich im Folge nde n Video-
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spi e le, di e da s Moti v Serie nmord oder Se ri e nmörd er
e nt halten, beze ichn e . Ich gre nze ihn damit gege n de n
in poli t isch-agitato risc he r Abs ic ht ge prägte n Begriff
>Kill e rspie l>ab, de r al s Sa mm e lbegriff fü r all e Acti onShooter ve rwandt wird, denen man >Gewa lt verhe rrli chung• und zu meist e in e zur Gewa lt anstifte nd e
Funktion unte rst e llt. G le ic hwo hl tauche n ni cht wenige Ki ll e r-S piel e au c h als >i( ill e rspi e lec im Medi e nwirkungsd iskurs auf. Vgl. hi e rzu Hältge n 2006b .
Untersc hi ed e n we rde n d abe i qua litative und qua nti tative Faktoren. Um mi ch ni cht zu we it vom Gegensta nd me in es Textes zu e ntfernen, ve rwe ise ic h hi e r
auf di e Fachdebatte, w i sie et wa von Ste ph an I-l arbort ge führt w ird. Vgl. 1-lm·bort 2006, S. 17- 34.
Di e e rst e Angabe na c h dem Ve röffe ntli chungsjahr
nen nt imm e r das Entwi ckle r-S tudio, die zwe ite den
Ve rl eger (vo rzugswe ise für Deutsc hl and) .
Di e Q ue ll e nlage ist diffi zil : Z um e in en ve rl angt das
Sp ie le n de r Spi e le unte rsc hi edlic hste Spie lplattformen (Konsole n, Co mpute r und I-l andh e lds), zum
ande ren sind Origin ai-Softwa re tite l v. a. aus den
1980e r- und 1990e r Jahre n w ie auch di e Ge rii t e, auf
d ene n sie gespi e lt we rde n, he ute nur noch sc hwe r zu
besc haffe n. Wo es ging, habe ich auf Originalhardund -so ft wa re zurüc kgegriffe n, mir mit Emulatore n
be holfen oder- wenn es ga r ni c ht ande rs zu löse n
war - auf Beschre ibungen de r Spie le durch Herst ell er
und Sp ie le r ve rlassen. Eine besonde re Hilfe st e ll en
di e zahlreic h auf YouTube zu r Ve rfügung gest e llte n
>Longplays< dar: Film e von komplett durchgespie lten
Videos pi e le n.
V gl. http :/ / d e.w iki pedia.org/w iki/S pi e lk onso le
#G esc hi c hte (Abrufdatum 16 .9.2009 .)
Genu ine Hand y-Kill e r-S pi e le, die zum e ist als JavaApp li katione n vorli ege n, habe ic h für di ese n Text
nicht unte rsucht.
Oder nur vo m Tite l he r vage auf d e m Film C ITY KILLER ( 198 4, R: Robe rt Mi chael Lew is)
C harl es Whitman e rsc hoss am 1. August 1966 von
e in e m Turm d e r University of Texas (Auste n) 17
Me nsc he n und ve rl et zt e 66 we ite re . D ie Tl1t in spiri e rte u. a. den Regisseur Pet e r Bogdanov ich zu se ine m Film TA RGETS (1 968).
Erste Videospie i-Zenslll·e n wegen >G ewa ltverhe rrli c hung< durc h di e Bundesprüfst.e lle fiir jugendgefährdend e Medien (damal s noch Bundesprüfstelle
für jugendgefährdende Schriften) find e n se it 1984
(Speed Racer, 1983, T &F So ftware/C hri s Warli ng)
st att . Die e rste Besc hl agnahm e durch Geric hte aus
d e m se lbe n Grund ge ht auf das Jahr 1994 (M ortal
Kombat II , 1993, Midway Games) zurü c k. Z uvo r
wurd e n Vid eospi e le zum e ist wege n Ve rstoßes gege n § 130 StGB (»Aufst ac he lung zum Rasse nhass «)
besc hlagna hmt.
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Stefan Höltgen
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1n llRAINSCAN kommt der Serienmörder lwzcichncndcrwcise aus einem Videospiel und treibt seinen
jugendlichen Spieler unbewusst zum Morden. Vgl.
Ilöltgcn 2009a.
Vgl. den Artikel von Michaela ·wünsch in diesem
Band.
Zwei verschiedene kriminalhistorische Tiiter, die hier
hilschlicherweisc identifiziert werden. Vgl. Höltgcn
2009b, S. 62.
In der Serienmörderlilm-Gcschichte sind derartige
schein-affirmative Medien-Kritiken von Beginn an
fester Bestandteil des Motivinvcntars. Vgl. Höltgen
200%.
Diesbezüglich hat 2007 das Videospiel Bioshocl<
(2007f., 2K/2K Games) noch einmal Debatten ausgelöst- zu mal die Entscheidungen dort das (Nicht-)
Töten von Kindern (wenngleich zomhiefizicrten) betrifTt.
http:/ /www.konami.com/gamcs/saw/ (Abrufdatum
17.9.2009)
Vgl. den Artikel von Hendrik Seither in diesem
Band.
http://www.flashgames.de/indcx.php?onlinespiclc
= 14()6 (Abrufdatum 18.11.2009)
http:/ /www.123bee.com/play/escapc-serial-killer
('!eil 1), http://www.123bec.com/play/serial-killcrpart-2 HtcZセゥャ@
2) und http://www.l23hec.com/play/
serial-killer-3 cn.'il 3).
Die Strategien, mit denen der Film vorgeht, habe
ich detailliert in 1-Iöltgen 2009b (S. 308-321) untersucht.
Eine diesbezüglich interessante und vielbeachtete Recherche hat ein kritischer Journalist 2007 auf
Yot{l\Jbe veröfTcntlicht: http://www.youtube.com/
watch7v=R9JRm3iQQak (Abrufdatum 17.9.2009)
Vgl. hierzu den Beitrag von Roland Seim in diesem
Band.
Amtsgericht München 2004, S. 2. Der Passus »menscheniihnlicher Wesen« könnte an dieser Stelle als zynisch aufgefasst werden, ist jedoch auf eine Gesetzesiinderung zurückzuführen, seit der es auch möglich
ist, dargestellte Gewalt gegen Zombies und andere
humanoide Monster zu inkriminieren. Dem vorausgegangen war der Versuch, das Verbot des Films THE
EVIL DEAD (1982, R: Sam Raimi) aufzuheben, wonach das Gesetz so geiindert wurde, dass der Film
verboten bleiben konnte.
Amtsgericht München 2004, S. 2.
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Amtsgericht München 2004, S. 2f.
Amtsgericht München 2004, S. 3.
Der Absatz zur »G lorilizierung von Selbstjustiz.« findet sich dort wortgleich wieder. Beachtlich v. a., weil
z.wischen beiden Beschlüssen vier Jahre Zeit verstrichen ist. Vgl. Amtsgericht München 200/la, S. 3.
Alle: Amtsgericht München 2008a, S. 2.
Amtsgericht München 2008a, S. 2. (I-Iervorhebung
durch mich) Vgl. auch Amtsgericht München 2008b,
S. 3.
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Amtsgericht München 2008a, S. 3.
13ully reagiert direkt ,mf die Vorwürfe, die der Spielreihe Grand Theft Auto (l9991l.) aus demselben Softwarehaus wie Manhu11t regelmäßig gemacht wurden;
die Debatte lüsst sich jedoch genauso auf cbs ebenfalls vieiLKh inkriminierte Manhunt beziehen.
Literatur
Amtsgericht München (2004): Beschlagnahme-13eschluss
zum Spiel "Manhunt« (PiayStation 2). In: http://www.
bpjm.com (Abrufdatum 19.9.2009).
Amtsgericht München (2008a): 13eschlagnahme-Beschluss
zum Spiel "Condenmedu (PC-Fassung). ln: http://
www.hpjm.com (Abrufdatum 19.9.2009).
Amtsgericht München (2008b): Beschlagnuhme-13eschluss z1nn Spiel "Cmulemned 2« (l!U- Version für
X box 360). In: http:/ /www.bpjm.com (Abrufdatum 19.9.2009).
Höltgen, Stefan (2006a): '}(II. Ort 13i/d. I<ann ein juristisches Beweismittel Kunst sein7 In: telepolis, 15.8.2006,
http://www.heise.de/tp/r4/artikcl/23/23229/ I .html
(Abrufdatum 16.9.2009).
1-löltgcn, Stefan (2006b): I<illerspiele. Seit Wochen sind sie
in aller M 1.mde, aber was sind überhaupt:"[( illerspieleu7
ln: telepolis, 29.12.2006, http://www.heise.de/tp/r4/
artikcl/24/24228/l.html (Abrufdatum 16.9.2009).
1-löltgcn, Stefan (2009a): Die Simulation unheimlicher
Intelligenz. Der Computer im Film '!eil 4: Videospiele im Film. In: telepolis, 7.6.2009, http://www.heise.de/tp/r4/artikcl/30/30201 I l.html (Abrufdatum
16.9.2009).
1-löltgen, Stcfan (200%): Schnitlstellen. Zur I<onstruiltion
11011 Aut.hentizit.ät im Serienmörder[tlm. Dissertation,
http://hss. ulb. uni-bonn .dc/ cliss _onlinc/ phil_fak/2009/
hocltgen stefan (Abrufdatum I 6.9.2009).
1-larbort, Stepl1a11 (2006): Das Hannibal-Syndrom. Phänomen Serienmord. München (5. Aull.).