Thomas Hensel / Britta Neitzel / Rolf F. Nohr (Hrsg.)
»The cake is a lie!«
Medien ’ Welten
Braunschweiger Schriften zur Medienkultur,
herausgegeben von Rolf F. Nohr
Band 26
Lit Verlag Münster/Hamburg/Berlin/London
In Memoriam
Frank Weber
Lit
Thomas Hensel / Britta Neitzel / Rolf F. Nohr (Hrsg.)
»The cake is a lie!«
Polyperspektivische Betrachtungen
des Computerspiels
am Beispiel von ›Portal‹
Lit
Bucheinbandgestaltung: Tonia Wiatrowski / Rolf F. Nohr
unter Verwendung eines Screenshots aus Portal © Valve, 2007
Buchgestaltung: © Roberta Bergmann, Anne-Luise Janßen, Tonia Wiatrowski
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Satz: Rolf F. Nohr / Arne Fischer / Fedor Thiel
Lektorat: Christoph Keck / Emma Jane Stone
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
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ISBN 978-3-643-12996-3
Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis
Britta Neitzel
7
Game Studies mit Portal
Philipp Fust
21
Portal und Portal 2 – Eine Einführung
Bilder und Räume
Jennifer deWinter / Carly A. Kocurek
31
Chell Game: Representation, Identification,
and Racial Ambiguity in Portal and Portal 2
Markus Rautzenberg
49
Just Making Images. Evozierte Bildlichkeit in Computerspielen
Marc Bonner
75
APERchitecTURE. Interferierende Architektur- und Raumkonzepte
als Agens der Aperture Sciences Inc.
Stefan Höltgen
107
JUMPs durch exotische Zonen. Portale, Hyperräume
und Teleportation in Computern und Computerspielen
Thomas Hensel
135
»Know your paradoxes!«
Das Computerspiel als multistabiles Bild.
Mit einem Post Scriptum zur Genretheorie
Lernen, Lehren und Testen
Niklas Schrape
157
Portal als Experimentalsystem
Inhaltsverzeichnis
5
179
Gunnar Sandkühler
Unzuverlässige Instruktion als Herausforderung – die Unsicherheiten in
Portal als ironische Fortführung programmierten Lernens
199
Rolf F. Nohr
»Now let's continue testing«. Portal and the Rat in a Maze
Verbindungen
225
Benjamin Beil
Life Is a Test (Chamber) – spielerische Metaphern der Portal-Reihe
241
Arne Schröder
The Cake is a Song – Zur Verbindung von Klang und Raum in Portal
259
Michelle E. Ouellette / Marc A. Ouellette
Make Lemonade: The Pleasantly Unpleasant Aesthetics of Playing Portal
281
Andreas Rauscher
Beyond 2001 – Portal als Spatial Odyssey
Mechaniken
301
Tobias Gläser / Timo Schemer-Reinhard
You Made Your Point: Achievements als Medien medialer Selbstreflexivität
323
Greg Grewell / Ken S. McAllister / Judd Ethan Ruggill
»You Really Do Have Brain-Damage, Don’t You?«: Ridicule as
Game Mechanic in the Portal Series
349
Felix Raczkowski
Thinking with Portals – das Aperture Science Handheld Portal Device
zwischen Unit Operation und Spielzeug
369
6
Danksagungen
371
AutorInnennachweis
379
Abbildungsnachweis
Inhaltsverzeichnis
Stefan Höltgen
JUMPs durch exotische Zonen
Portale, Hyperräume und Teleportation
in Computern und Computerspielen
Einsprung
Der so genannte »Portal-Effekt« bildet den spielmechanischen Ausgangspunkt für Portal und
Portal 2. Er ist jedoch wesentlich älter, genau genommen: so alt wie das digitale Computerspiel
selbst. Seine Wurzeln reichen von dort aus zu-
Give me light – Give me action
At the touch of a button
Flying through hyper-space
In a computer interface
Trans-X: Living on Video
dem in die Literatur- und Kulturgeschichte sowie in die Geschichte der modernen Physik. All
diesen Annäherungen liegt dasselbe Phänomen
zugrunde und sie alle beziehen ihre Faszination aus derselben Frage: Wo befindet sich das Objekt, nachdem es in dem einen Portal verschwunden ist und
bevor es aus dem anderen erscheint? Diese im Folgenden ›exotische Zonen‹ genannten Aufenthaltsorte möchte ich untersuchen – als ›Orte von Computerspielfiguren‹ in Spielen, die den Portal-Effekt oder ähnliche Reise-Formen simulieren.
Die Frage nach dem Ort einer Computerspielfigur erscheint auf den ersten
Blick sinnlos. Der Medienwissenschaftler könnte, halb-technisch¯1 gesprochen, erwidern, dass sie falsch gestellt ist, denn eine Computerspielfigur ist ja
bloß Grafik und die »besteht [...] aus Algorithmen und sonst gar nichts« (Kittler 2002, 183). Die Frage nach dem ›Wo‹ einer Computerspielfigur könnte ontologisch also erst dann einen Sinn ergeben, wenn sie überhaupt irgendwo sein
kann, wenn es also einen Körper gibt und einen Ort, an dem er war, ist oder sein
wird, an dem er Existenz hat.
Dem könnte man entgegnen: Wir konstruieren solch einen Ort durch unsere
Wahrnehmung – mit euklidisch bestimmbaren X/Y-Koordinaten auf dem
Bildschirm – und durch unsere (Inter)Aktion mit der Maschine als Signal-Menge,
Speicherinhalt, Datensatz in der Materie des Mediums. Oder noch radikaler:
Selbstverständlich muss die Computergrafik auch irgendwo gespeichert und
prozessiert werden. Dieser Ort bildet ihr technisches Apriori, ihr ›Existenzial‹,
wenn man so will. In den Hardwares moderner Computer(spiel)plattformen
JUMPs durch exotische Zonen
107
sind eigens für diesen Zweck eingerichtete Bauteile enthalten, die auf die
Gestaltbildung der Grafik/Software maßgeblichen Einfluss nehmen. In ihnen
wäre der reale Ort der Computerspielfigur zu suchen. Die konstruktivistische
(wie meines Erachtens auch die ›halb-technische‹) Betrachtungsweise bleibt
für sich genommen und im Sinne Frieder Nakes zu ›oberflächlich‹, die rein
technische für eine medienwissenschaftliche Antwort zu ›unterflächlich‹,
denn:
»Digitale Bilder sind algorithmische Zeichen. Sie sind sichtbar (für den Menschen) und berechenbar (für die Maschine). Digitale Bilder haben eine Oberfläche und eine Unterfläche. Mit
der Spanne haben es die digitalen Medien zu tun. Die digitalen Medien verlangen Algorithmik
und Ästhetik, beides« (Nake o. J.).
Ich will im Folgenden versuchen, die Frage nach beidem aus einer Perspektive zwischen Ober- und Unterfläche, zwischen Diskurs und Technik, zwischen
Ästhetik und Algorithmus, zwischen Kultur- und Technikgeschichte aufzuwerfen: Wo befindet sich eine Computerspielfigur – als Grafik, als Signal, als Speicherinhalt, als Element einer Genealogie und als Wissensobjekt? Beispielhaft
soll diese Frage an das Computerspiel Ms. Pac-Man (Bally Midway/Namco 1982,
Bally Midway/General Computer Corp.) gerichtet werden, mit einem besonderen Fokus auf den ›Portal-Effekt‹, dessen unterschiedliche Implikationen ich
dazu einander gegenüberstelle.
Die Untersuchung von Ms. Pac-Man (und nicht von Portal selbst) ist der Tatsache geschuldet, dass sich unterhalb der differenten Ästhetiken, der verschiedenen Schnittstellen, der jeweils verwendeten Programmiersprachen, ja sogar
der Mikroprozessorgenerationen beider Spiele dieselben Phänomene finden
lassen. Ms. Pac-Man soll hier also als beispielhafte Reduktion für eine Untersuchung dienen, die auch mit Portal selbst vollzogen werden könnte. Im Gegensatz zu Portal ist der grundsätzliche Aufbau von Ms. Pac-Man, also der
Code, die Architektur der Plattform und die Mikroelektronik durch jahrzehntelange Untersuchungen (insbesondere durch Retrocomputer-Enthusiasten und
Hacker) offenkundig und frei zugänglich. Die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen beiden Spielen soll im Folgenden also als didaktische Reduktion bei der
Auseinandersetzung mit der Epistemologie des ›Portal-Effektes‹ dienen und
daher auf alle Programme, die diesen Effekt nutzen, übertragen werden können.
Zunächst soll dazu die Ideengeschichte exotischer Reisen durch Raum und Zeit
angerissen werden, um danach ein paar Beispiele für exotische Zonen von Spielfiguren aus der Geschichte des Computerspiels zu nennen und deren narrative Einflüsse zu charakterisieren. Welchen Unterschied die Differenz zwischen
108
Stefan Höltgen
literarischer Schrift, Illustration, Diagramm und Computerspiel-Programmcode in Hinblick auf die Frage nach der Temporalität¯2 macht, soll sich dann
am Beispiel des Programmcodes von Ms. Pac-Man zeigen, weil dessen technische Grundlagen vergleichsweise leicht darstellbar sind. Schließlich wende ich
mich den Lokalitäten der (Spiel-)Hardware zu, um in ihnen nach Entsprechungen zu den auf dem Bildschirm sichtbaren Phänomenen und den literarischen
und physikalischen Topoi zu suchen.
Scientific GOTO Fictions – ein unbedingter Rücksprung
Zu Beginn sollen die oben angedeuteten ›Portal-Effekte‹ (von denen einer dafür
verantwortlich ist, dass sich Ms. Pac-Man zeitweise nicht auf dem Bildschirm
befindet) beim Namen genannt werden. Es geht um Sprünge in den Hyperraum
(hyperspace), um Teleportation (›Beamen‹) und um Reisen durch Wurmlöcher –
also um Prozesse, bei denen ein Körper von einem Ort A zum einem anderen Ort
B gelangt, ohne sich jemals dazwischen aufzuhalten – und vor allem, in kürzerer Zeit als die gewöhnliche Bewegung von A nach B dauern würde.
Das Interesse ¯3 an diesen Phänomenen kommt nicht von ungefähr, sondern
stammt aus der reichhaltigen Kultur- und Literaturgeschichte. Der Teleportation ähnliche Verfahren vom Ver schwinden hier und Erscheinen dort gibt es
bereits in der jüdischen Mythologie ¯4 oder den Erzählungen aus Tausend und
einer Nacht.¯5 Auch die anderen Reiseformen besitzen literarische Vor- und
Nachbilder. Drei Beispiele aus drei Gattungen seien an dieser Stelle aufgrund
ihrer besonderen Darstellungsweisen genannt.
Flatland
Der Mathematiker, Theologe und Lehrer Edwin A. Abbott veröffentlichte 1884
seinen Roman Flatland, der dem Untertitel zufolge A romance of many dimensions (ders. 2009) ¯6 ist, sich daneben aber bereits aufgrund der darin abgebildeten Diagramme leicht erkennbar als Traktat über die Erweiterung der
euklidischen Geometrie in höherdimensionalen Räumen (eine Definition für
Hyperspace ¯7) offenbart. In Kapitel 14 beschreibt der Held aus dem zweidimensionalen Flatland, wie er den König des eindimensionalen Lineland über
höherdimensionale Räume (als denjenigen, in dem er selbst lebt) aufzuklären
versucht. Als dies nicht fruchtet, tritt er den Beweis an und aus Lineland hinaus:
JUMPs durch exotische Zonen
109
»Mit diesen Worten begann ich meine Gestalt aus Linienland hinauszubewegen. So lange noch
ein Teil von mir in seinem Herrschaftsgebiet und in seinem Blickfeld blieb, rief der König fortwährend: ›Ich sehe dich, ich sehe dich immernoch [sic]; du bewegst dich gar nicht!‹ Als ich seine Linie aber schließlich verlassen hatte, kreischte er auf. ›Sie ist weg! Sie ist tot!‹ – ›Ich bin nicht
tot‹, entgegnete ich; ›Ich befinde mich bloß außerhalb von Linienland, das heißt, außerhalb der
Geraden, welche Ihr als ›Raum‹ bezeichnet, und im tatsächlichen Raum, worin ich die Dinge sehen kann, wie sie sind‹« (Abbott 2009, 112).
Um der Leserin den Prozess zu illustrieren, fügt Abbot an dieser Stelle eine Grafik in seinen Text ein:
Abb. 1: Zweidimensionale Figur in/auf eindimensionaler Welt
From Travel by Wire! (to a) Wireless World
Arthur C. Clarke veröffentlichte seine erste Kurzgeschichte im Dezember 1937
in der Zeitschrift Amateur Science Fiction Stories. Sie heißt Travel by Wire! In ihr
beschreibt der Erzähler, welche Probleme vor der Erfindung des »radio-transporter« beim Reisen über Drahtleitungen bestanden haben.
»You people can have no idea of the troubles and trials we had to endure before we perfected
the radio-transporter, not that it’s quite perfect even yet. The greatest difficulty, as it had been
in television thirty years before, was improving definition, and we spent nearly five years over
that little problem. As you will have seen in the Science Museum, the first object we transmitted
was a wooden cube, which was assembled all right, only instead being one solid block it consisted of millions of little spheres. In fact, it looked just like a solid edition of one of the early television pictures, for instead of dealing with the object molecule by molecule or better still electron by electron, our scanners took little chunks at a time« (Clarke 2000, 1).
110
Stefan Höltgen
Abb. 2: Clarkes Idee bidirektionaler Satelliten-Kommunikation
Dass Clarke hier seinerzeit populäre Übertragungsmassenmedien als Sinnbilder und Namensgeber benutzt, um seine Geschichte der Erfindung drahtloser
Teleportation für den Leser plastisch zu machen, kommt nicht von ungefähr.
1945 veröffentlichte er in der Zeitschrift Wireless World als einer der ersten
Überlegungen für die Nutzung geostationärer Satelliten zur Übertragung von
Informationen (vgl. Clarke 1945). Die Idee, drei auf einer (Kugelober)Fläche weit
voneinander entfernte Punkte A, B und C durch einen ›Schritt nach oben‹ zu
überbrücken, fügt sich nahtlos in das Flatland-Motiv Abbotts ein – nur dass
hier anstatt der Mathematik die Medientechnologie verwendet wird, es also
konkreter wird.
Die Übertragung per Satellit besitzt heute längst einen derart zeitkritischen
Status, dass relativistische Effekte auf die Zeit bei Übertragungsgeschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit eingerechnet werden müssen. Clarkes
›crossover‹ von Science Fiction, Astronomie und Medientechnologie zeigt, wie
nahe beieinander diese Diskurse liegen. Längst beschäftigt man sich auch in
der Physik (vgl. Davis 2004) und auch in der Technik mit Teleportation.
JUMPs durch exotische Zonen
111
Geons
Fünf Jahre nach Clarkes Kurzgeschichte erscheint in derselben Zeitschrift, in
der 20 Jahre zuvor Albert Einstein und Nathan Rosen ein Gedankenspiel über
Raum-Brücken vorgestellt hatten,¯8 ein Aufsatz mit dem Titel Geons. In diesem
greift der Physiker John Archibald Wheeler den Gedanken noch einmal auf und
rechnet ihn weiter, jedoch nicht auf makroskopischer, sondern auf (sub)mikroskopischer Ebene, im Bereich der Planck-Länge (1,616199 ô1035 Meter). Dort verändert sich das Wesen der Raumzeit drastisch. Sie wird schaumartig und bildet
Verzerrungen aus, die ›weit‹ entfernte Bereiche durch kurze Brücken verbinden:
Abb. 3: Wheelers Illustration subatomarer Tunnel mit Feldlinien
»One can consider a metric which on the whole is nearly flat except in two widely separated
regions, where a double-connectedness comes into evidence as symbolized in Fig. 7 [vgl. Abb.
3, S.H.]. The general divergence-free electromagnetic disturbance holding away in the space
around one of these ›tunnel mouths‹ will send forth lines of force into the surrounding space,
and appear to have a charge. However, an equal number of lines of force must enter the region
of disturbance from the tunnel. Consequently the other mouth of the tunnel must manifest an
equal and opposite charge. In such a doubly-connected space it is evidently a matter of definition whether we say that divergence-free field equations do or do not permit the existence of
112
Stefan Höltgen
electric charge. It will be convenient to say yes if the width of the tunnel is small compared to
the separation of its mouths« (Wheeler 1955, 534f.).
Solche Tunnel, die Wheeler später »worm holes« (Misner/Wheeler 1957, 525)
tauft, entstehen und vergehen überall und ständig im subatomaren Bereich,
wenn man die Gleichungen Einsteins und Rosens von der allgemeinen Relativitätstheorie auf die Planck-Länge überträgt: »General relativity, quantized, leaves no escape from topological complexities of which Fig. 7 [Abb. 3, S. H.] is only
an oversimplified symbol« (Wheeler 1955, 535). In der Nachfolge Wheelers werden diese Wurmlöcher nicht nur von der Teilchen- und Astrophysik, sondern
auch von der Science Fiction aufgegriffen und im doppelten Wortsinn ausgeweitet. Wurmlöcher werden nun auch als mögliche makrokosmische Phänomene beschrieben, um sie theoretisch oder fiktional für Reisen nutzbar zu machen (Krasnikov 2011). Die Fachpublikationen zur Wurmloch-Physik sind heute
beinahe nicht mehr zu zählen und die verschiedenen Theorien dazu – bislang
wurde ein Wurmloch weder entdeckt, geschweige denn hergestellt¯9 – reichen mittlerweile sogar aus, um ein Lehrbuch (vgl. Visser 1996) damit zu füllen.
An den hier zitierten Quellen lässt sich neben der Tatsache, dass sie Brücken
zwischen Science und Fiction zu schlagen im Stande sind, vor allem der Versuch
erkennen, Bewegungen mit Hilfe von Abbildungen und sprachlichen Tropen
imaginierbar zu machen. Hierzu verwenden die Autoren vorrangig Illustrationen, weil die Schrift selbst medientypisch ›statisch‹ bleiben muss, selbst wenn
sie »zeitliche Abläufe räumlich auf dem Papier festzuhalten« (Coy 1993, 368)
vermag. Ihr Operativwerden soll erst durch den Computerprogramm-Code zur
Vollendung gelangen.
Adressen: 1961-1981
Spacewar!
Es ist eine der Gründungslegenden der Computerspielgeschichte, dass Alan Kotok, Peter Samson, Steve (›Slug‹) Russel und Dan Edwards Ende 1961 mit der Implementierung eines Digitalcomputerspiels auf dem Minicomputer PDP-1 am
MIT begannen. Das Spiel Spacewar! galt dort als Verheißung einer neuen Zeit,
in der Millionen Dollar teure Computerhardware endlich zur Spielplattform
für Hacker werden konnte. Das Spiel folgte einfachen Regeln: Zwei gegnerische
Spielerinnen steuern in Spacewar! ihre Raumschiffe um eine Sonne, die sie beständig anzieht und in die sie zu stürzen drohen. Ziel des Spiels ist es, nicht nur
dieser Gravitation zu entkommen, sondern auch das Raumschiff der Gegnerin
JUMPs durch exotische Zonen
113
abzuschießen. Am MIT wurde Spacewar! vor allem als programmiererische Herausforderung begeistert aufgenommen (vgl. Levy 1984, 46-57). Zu den in rascher Folge hinzugefügten Erweiterungen gehörte nicht nur die Applikation eines realistischen Sternenhimmel-Abbildes (Pias 2002, 85), sondern auch bald
ein ›cheat‹, mit dem das Spiel leichter zu spielen war:
»And then there came a – startling development called Hyperspace – when your situation got
desperate you could push both turn buttons at once and go into hyperspace: disappear from the
screen for a few seconds and then reappear at a random new position ... maybe. ›Hyperspace
was in within a month or so‹, says Russell. ›It’s a little controversial. Some people deplore it, and
it’s fairly common to play games without it ... It was of course vital to put in problems with hyperspace. You know, when you come back into normal space from hyperspace, there is initially a
small energy-well which looks amazingly like a star; if a torpedo is shot into that energy well, lo
and behold [sic] the ship blows up. There is also a certain probability of blowing up as you finally
break out of hyperspace. Our explanation was that these were the Mark One hyperfield generators and they hadn’ t done really a thorough job of testing them – they had rushed them into the
fleet. And unfortunately the energies that were being dissipated in the generators at breakout
were just barely what they could handle. So the probability of the generator flying apart and
completely killing the spaceship was noticeable on the first couple of uses, and after four uses
it was only an even chance of surviving hyperspace. So it was something that you could use but
it wasn’ t something that you wanted to use‹« (Brand 1972).
Derartige Hyperraum-Sprünge sind nur dann für die Spielerin nachvollziehbar,
wenn sie sie ›sehen‹ kann; wenn sie also in einem Moment das Raumschiff auf
Position A sieht und es dort nach dem Aktivieren des Hyperraum-Sprungs verschwindet, um im nächsten Moment auf einer ungewissen Position B wieder
aufzutauchen. Die kurzfristige Unsichtbarkeit der Spielfigur ist an diese prinzipielle Sichtbarkeit gebunden, weshalb die Nutzung eines Kathodenstrahl-Bildschirms (anstelle der sonst für Ein- und Ausgaben verwendeten Teletypewriter) das Spiel überhaupt erst spielbar macht, wie Pias (2002, 84f.) bemerkt.
Computerschach
Daher bildet die bildschirmgrafische Darstellung eines ganz anderen, wesentlich ›unspektakuläreren‹ frühen Computerspiels ebenfalls die Bedingung für
ihre Einordnung in das genannte spatiologische Motiv: Die Rede ist vom Computerschach, das zu den Urszenen des Digitalcomputers selbst gehört, weil sich
alle frühen Computerpioniere (Turing, Zuse, von Neumann, Shannon) auch mit
Schachimplementierungen herumtrugen. Jahrzehntelang wurde die Rechen-
114
Stefan Höltgen
kraft der Schachcomputer und -programme lediglich zur Analyse der Stellung
und zum Berechnen der Züge genutzt. Mangels Grafikdisplays und Notwendigkeit (Schachbretter und -figuren waren ja stets verfügbar) wurde das Spielgeschehen allenfalls zu programmiererischen Zwecken in so genannten »Bit
Boards« (vgl. Adel‘son-Vel‘skii u.a. 1970, 242ff.) virtualisiert:
»a mapping of the chess board squares to the computer’s internal binary structure, which allows the computer to store and analyze board positions very efficiently« (The Computer History Museum o. J.).
Diese »Bit Boards« stellen jedoch schon deshalb keine Visualisierung dar,
weil man nicht (ohne weiteres) in den Speicher hinein schauen kann. Könnte
man es, bekäme man zu sehen, was ab Mitte der 1970er-Jahre ¯10 bei etlichen
Schachprogrammen sichtbar wurde: Dass die Spielfiguren nicht etwa ›ziehen‹,
sondern ›springen‹. Anstatt die Figuren-Grafiken animiert über das Feld zu
bewegen, werden Züge zu Beginn des grafikfähigen Computerschachs so dargestellt, dass die betreffende Figur auf Feld A zu blinken beginnt, um kurz darauf von dort zu verschwinden und blinkend auf Feld B aufzutauchen, wo sie
sich dann wieder als Grafik manifestiert. Weil das Entstehen und Vergehen hier
visualisiert wird und – anders als bei Spacewar! – Start- und Zielpunkt der Spielerin bekannt sind, scheint es nicht abwegig, hinter dieser Ortsveränderung
eine Form der Teleportation zu sehen, einen gezielten Sprung – anders als beim
Hyperraum-Sprung dieses Mal jedoch ins Gewisse.
Ms. Pac-Man
Die dritte Bewegungsfigur ist die vielleicht spektakulärste und am häufigsten
ästhetisierte. Als populäres Beispiel wähle ich das Spiel Ms. Pac-Man (1981¯11),
um das es im weiteren Verlauf gehen wird. In Ms. Pac-Man bekommt die Spielerin in einer Mischperspektive ein Labyrinth in Aufsicht und Spielfiguren in
der Seiten- sowie Frontalansicht präsentiert. Sie steuert die Ms. Pac-Man-Figur durch dieses Labyrinth, um in den Gängen liegende Punkte einzusammeln.
Dabei wird die Spielfigur von vier Geistern verfolgt, derer sie sich zwar mithilfe so genannter »Power Pills« erwehren kann (das Einsammeln einer Power Pill
ermöglicht Ms. Pac-Man, die dann vor ihr fliehenden Geister zu fangen und zu
zerstören), die sie bisweilen jedoch so in die Ecke drängen, dass es keinen Ausweg zu geben scheint – außer an bestimmten Stellen an den Seitenrändern des
Labyrinthes, wo dieses (nach links, nach rechts) in Richtung Bildschirmrand geöffnet ist und einen Durchgang sowohl für Ms. Pac-Man als auch für die GeisJUMPs durch exotische Zonen
115
ter gewährt. Verlässt eine der Figuren das Labyrinth durch einen linken Ausgang, taucht sie fast (!) unverzüglich an einem rechten Eingang wieder auf
– und umgekehrt.
Dieser Übergang, der sich deutlich von den vorher beschriebenen Sprüngen
unterscheidet, vollzieht sich in voller Bewegung und Beibehaltung der Bewegungsrichtung und es mutet an, als gäbe es einen Tunnel, der (vielleicht hinter dem Bildschirm?) von der linken zur rechten Labyrinth-Öffnung führt.
Ein buchstäblicher ›Mise en Abyme‹-Effekt, der den Eindruck des geschlossenen Spiel(raum)s aufbricht und das relativitäts-physikalische Phänomen des
Wurmlochs als Abkürzung zwischen zwei weit entfernten Raumpunkten ins
Spiel bringt.
An dieser Stelle wechsele ich von der ›oberflächlichen‹ Betrachtung der ästhetischen Motive und Phänomene auf die ›Unterfläche‹ und wiederhole die Frage: Wo ist Ms. Pac-Man zu der Zeit, wenn sie weder an Ort A noch an Ort B zu
sehen ist? Um diese Frage zu klären, widme ich mich zunächst den operativen
Eigenschaften von Code-Strukturen, die ich dann am Beispiel von Ms. Pac-Man
konkreter beschreibe.
Zeitreise-Diagrammatiken
Betrachtet man die Illustrationen von Abbot (Abb. 1) und Clarke (Abb. 3), so fällt
auf, dass es Abbot zwar noch gelingt, auf dem ebenen Papier seines Buches die
Differenz zwischen ein- und zweidimensionaler Welt grafisch darzustellen,¯12
Clarke jedoch bereits auf Bewegungslinien mit Richtungspfeilen (Vektoren) angewiesen ist, um die Lokal- und Temporaleffekte seiner Kommunikation im
Raum zu illustrieren. In der Frage nach der Verzeitlichung von Schrift und Bild
als Diagramm wird Lessings Theorie des Laokoon erneut aktuell – insbesondere vor dem Hintergrund einer operativen Diagrammatik, wie sie die Medienwissenschaft seit einiger Zeit beschäftigt (vgl. Ernst 2006, 16f.): Lassen sich Prozesse, in denen Zeitverläufe eine Rolle spielen, auch auf der Textoberfläche oder
nur in der Text-Semantik abbilden?
Die Computerwissenschaft, durch die die Schrift auf dem Papierstreifen in der
Turingmaschine zuallererst operativ wurde, beantwortet diese Frage mit ›ja‹.
Sie hat zur Illustration von Zeitverläufen ein spezifisches Diagramm ersonnen:
das Flussdiagramm der Programmabläufe und Datenflüsse. Seine Ursprünge
reichen bis in die frühen 1920er-Jahre zurück.¯13 Es wurde in den 1960er-Jahren
von der noch jungen Informatik als Abstraktionsmittel aufgegriffen:
116
Stefan Höltgen
»A flowchart is a pictorial plan showing what you want the
computer to do, and in what sequence to do it. The flowchart improves communication between you and other
people by allowing others to understand how you have instructed the computer to solve a problem« (Farina 1970,
1; Herv. S. H.)
Solche Programmablaufpläne werden von oben
nach unten oder links nach rechts gelesen und
können im Unterschied zu anderen Code-Verallgemeinerungen (wie zum Beispiel dem Pseudocode ¯14) auch Zeitprozesse visualisieren. Im
Folgenden ein Beispiel für die Prüfung, ob Ms.
Pac-Man das ›Wurmloch‹ betreten hat.
Die Formen der Elemente kennzeichnen deren Funktion: Ovale und Kreise stellen Kontrollpunkte, Linien und Pfeile Verbindungen, Rechtecke Operationen, Rauten Entscheidungen mit
Verzweigungen, Parallelogramme Ein-/Ausgaben und Rechtecke mit vertikalen doppelten Linien Unterprogramme dar. Dadurch, dass in diese grafischen Elemente Text eingetragen wird,
wird dieser zugleich zeitlich ›verflüssigt‹. Der
Sinn des obigen Ablaufplans ist intuitiv erfassbar; die Linien symbolisieren den zeitlichen Ablauf des Vorgehens durch räumliche Positionierung. In Hinblick auf das Thema sind hier
zunächst die Verzweigung bei der Entscheidung
›X-Position kleiner/gleich Null?‹ sowie die lange
Verbindung von dort nach ›Spielfigur auf dem
Bildschirm darstellen‹ interessant. An ihnen
Abb. 4: Flussdiagramm ›Prüfung:
Eintritt in den Tunnel‹
zeigt sich, dass der Programmablauf keineswegs
linear verlaufen muss, sondern nach Prüfung von Bedingungen verschiedene Verzweigungen nehmen und Sprünge zu ›früheren‹ oder ›späteren‹ Programmteilen enthalten kann.
Die zeitliche Struktur lässt sich selbstverständlich auch aus dem Code selbst herauslesen, wenn die Leserin dabei die Rolle des Assemblierers einnimmt: Hier,
wie in nicht-operativen Texten, ist die Anordnung ›auf den ersten Blick‹ linear.
Die Linearität des Programms wird sogar durch die sukzessiv anwachsenden
JUMPs durch exotische Zonen
117
Adressen erkennbar. Sie stellen jedoch gleichzeitig ›Label‹ dar, die angesprungen werden können. Sprungziele sind auf Maschinenebene immer SpeicherAdressen, an denen der nächste auszuführende Code steht.¯15 Die menschliche
Assembliererin vollzieht diese Sprünge beim Lesen von Code nach. Sprünge zu
einer ›früheren‹ oder ›späteren‹ Adresse als der Nachfolgenden lassen sich bei
ihr als messbare Augenbewegung erkennen (vgl. Busjahn u.a. 2011).
Jump relative
Dies lässt sich im Folgenden anhand eines Code-Teils aus dem Arcade-Automatenspiel Ms. Pac-Man nachvollziehen. Der gesamte Spielcode umfasst einen
Adressraum von insgesamt 40 Kilobyte. Der Z80-Prozessor in Ms. Pac-Man ist
mit 3,072 Megahertz getaktet (also circa drei Millionen Takten pro Sekunde).
Der folgende 24 Byte lange Routine-Teil verbraucht 109 bis 114 Takte (je nachdem ob die Bedingungen in 0525 HEX¯16 erfüllt sind oder nicht) – dauert also etwas länger als 3,5 Mikrosekunden.
Für alle Zustände (Bewegungen, Interaktionen …), die die Spiel- und Gegnerfiguren im Spiel einnehmen können, existieren Speicheradressen, aus denen
sich der jeweilige Zustand auslesen und innerhalb des Programms dann als Bedingung verarbeiten lässt. Ob sich Ms. Pac-Man im Labyrinth auf hält oder gerade einen Tunnel betritt, ist in Adresse 4dbf HEX¯17 gespeichert. Sucht man im
Programmcode (Lawrence o. J.) nach dieser Adresse, findet man die Stellen, an
denen dieser Zustand (Flag) geändert, also der Tunnel betreten (1) oder verlassen (0) wird. Dieser Wert wird natürlich von der X- (gespeichert in 4d3a HEX ) und
Y-Position (4d39 HEX ) der Spielfigur determiniert.
Die folgende kleine Z80-Assembler-Routine, über deren Funktion sich der Autor¯18 nicht ganz im Klaren ist (vgl. den überschriftartigen Einstiegskommentar), ist gut dazu geeignet, den vorangegangenen Leseprozess zu illustrieren
und darüber hinaus sowohl die Programmstruktur als auch die symbolische Lokalisierbarkeit der Spielfigur zu klären.
[Adresse OpCodes
Mnemonic¯19
; check for moving through a tunnel?
051c
21 a0 4d
ld
051f
06 21
ld
0521
3a 3a 4d
ld
0524
90
sub
118
Stefan Höltgen
Daten
hl,#4da0
b,#21
a,(#4d3a)
b;
Kommentar, S.H.]
pac going
through a tunnel?
0525
0527
0529
052c
[…]
058e
0591
0592
20 05
36 01
c3 8e 05
cd 17 10
jr
ld
jp
call
nz,#052c
(hl),#01
#058e
#1017
21 02 4e
34
c9
ld
inc
ret
hl,#4e02
(hl)
; (5)
¯20
¯21
Zunächst soll das Fragment Adresse für Adresse in seiner Funktion kommentiert werden:
051c HEX : Die Routine beginnt damit, dass das Register hl mit dem Hexadezimalwert 4da0 HEX geladen wird. Dieser Wert stellt eine Adresse im Scratchpad-RAM
(siehe unten) dar, die im weiteren Verlauf arithmetischen Operationen unterzogen wird, um eine neue Adresse (ein Sprungziel) zu berechnen.¯22
051f HEX : Das Register b wird mit dem Wert 21 HEX geladen.
0521 HEX : Der Inhalt der RAM-Adresse 4d3a HEX wird in das Register a¯23 geladen.
(In 4d3a HEX ist die X-Position von Ms. Pac-Man gespeichert.)
0524 HEX : Der Inhalt von Register b (siehe 051f HEX ) wird vom Inhalt des Registers a
subtrahiert. Durch diese Subtraktion wird also die X-Position von Ms. Pac-Man
verändert. Sie rückt nach links – um 21 HEX-Bildschirm-Adressen.
0525 HEX : Wenn diese Subtraktion nicht das Ergebnis Null (nz: non zero) hatte (Ms. Pac-Man also noch nicht am linken Bildschirm-Rand angekommen ist),
wird 5 Adressen nach vorn (zu 052c HEX ) gesprungen.
0527 HEX : In die RAM-Adresse, die im Register hl gespeichert ist (siehe 051c HEX ),
wird der Wert 1 abgelegt. Hierbei scheint es sich um ein Flag zu handeln, das
anzeigt, ob Ms. Pac-Man den Tunnel betritt.
0529 HEX : Es wird direkt ans Ende der Routine (nach 058e HEX ) gesprungen.
052c HEX : Eine Unterroutine, die ab Adresse 1017 HEX startet, wird aufgerufen. Ihr
Zweck ist (noch) nicht eindeutig klar. Nach Ablauf dieser Routine wird in die folgende Adresse (052f HEX ) mit ret zurückgekehrt.
052f HEX-058d HEX : Hier werden verschiedene Subroutinen mit call aufgerufen
und der Wert für die X-Position von Ms. Pac-Man weiter bearbeitet, um eine
kontinuierliche Bewegung zu generieren.
058e HEX : Das Register hl wird mit dem Hexadezimalwert 4e02 HEX geladen. Dieser
repräsentiert die Adresse, in der der Levelfortschritt gespeichert ist.
0591 HEX : Der Inhalt der Adresse 4e02 HEX (siehe 058e HEX ) wird um 1 erhöht. Ms. PacMan ist dem Levelende also einen Schritt näher gekommen.
JUMPs durch exotische Zonen
119
0592 HEX : Dieses Unterprogramm ist beendet. Es wird an die Adresse zurückgekehrt, von wo es aufgerufen wurde.
Ich möchte das Augenmerk zunächst auf die bedingten Sprünge in 0525HEX ,
0529 HEX und 052c HEX lenken. Auf der Maschinenebene bedeuten solche Sprünge, dass dem internen Programmzähler eine Adresse übergeben wird, die vom
›normalen Ablauf‹ des Programms (nämlich einfach der Adresse des nachfolgenden Befehls) abweicht.¯24 Dies führt dazu, dass das Programm an dieser
neuen Adresse weiter ausgeführt wird. Maschinenprogramme werden taktweise abgearbeitet. Wird durch einen Sprungbefehl eine Adresse weiter vorn
oder hinten im Programm auf den Programmzähler gelegt, dann findet bereits
beim nächsten Takt der Sprung dorthin statt. Das bedeutet, dass innerhalb von
etwa 325 Nanosekunden eine jede beliebige Adresse im Speicher angesprungen werden kann.
Dieser Prozess ist absolut nichts Ungewöhnliches ¯25 und wird innerhalb von
Ms. Pac-Man hundertfach ausgeführt. Dennoch scheint mir die Bemerkung angebracht, dass Sprünge, die in den ›Wurmloch‹-Routinen des Codes ausgeführt
werden, auch metaphorischen Charakter besitzen – oder anders herum: Die
Existenz des Wurmloch-Motivs auf der Oberfläche von Ms. Pac-Man erscheint
vor diesem Hintergrund als eine emblematische Verdopplung jenes Prozesses,
der zugleich auf der Unterfläche des Spiels stattfindet. Nachdem der Sprung
nun in seinen diagrammatischen, symbolischen und strukturalistischen Facetten vollzogen wurde, möchte ich zum Schluss ins Reale zurückkehren und mich
der Hardware von Ms. Pac-Man zuwenden.
Jump absolute
Die Grafiken, die sich auf dem Bildschirm des Ms. Pac-Man-Spielautomaten
zeigen, stellen eine Komposition verschiedener Elemente dar. Die Formen all
dieser Elemente sind im Character-ROM gespeichert. Die Bildschirm-Hintergrundgrafik (das Labyrinth) besteht aus ›Tiles‹, sprich unterschiedlichen Grafik-Mosaikelementen, die so angeordnet werden, dass sie ein zusammenhängendes Bild ergeben. Vor bzw. zwischen diesen bewegen sich die Spielfiguren
(Ms. Pac-Man, die Geister) als ›Sprites‹, sprich Grafikelemente, die unabhängig
vom Hintergrund animiert werden können, zu denen sich jedoch Informationen darüber abfragen lassen, ob sie miteinander oder mit einem HintergrundElement (Früchte, Punkte, Power Pills) kollidiert sind. Schließlich werden noch
Schriftzeichen angezeigt, die als Zeichensatz (Characters) fest definiert vorliegen und wie ›Tiles‹ auf dem Bildschirm positioniert werden.
120
Stefan Höltgen
Die Darstellung des zellulären Aufbaus des nebenstehenden Sprites (Abb. 5) lässt sich zugleich
als Diagramm für seinen ›Speicherplatz‹ lesen,
denn jedes Pixel belegt ein Bit – in unterschiedlichen Speichern der Hardware. Die Menge der
Spielfiguren-Bits gibt ihre ›Größe‹ (sowohl ihre
grafische Dimensionierung als auch ihren Speicherverbrauch) an. Dieser Platzbedarf und seine
Befriedigung sollen zunächst diskutiert werden.
Ms. Pac-Man existiert, wie schon der Vorgänger Pac-Man in einer Vielzahl von Implementationen für Spielkonsolen, Heimcomputer, Handhelds und als Arcade-Automat. Der Hardware
von letzterem, aus dem auch das obige Codefragment disassembliert wurde, möchte ich
mich nun zuwenden. Neben dem Gehäuse, dem
Abb. 5: Das Ms. Pac-Man-Sprite besteht aus
16 mal 16 Pixeln (256 Bit, also 32 Byte)
Monitor (und seiner Steuerelektronik), dem Eingabepanel (Münzeinwurf, Joystick, Funktionstasten) ist es vor allem das Mainbaord, das ein
Abb. 6: Das »(Ms.) Pac-Man«-Board
JUMPs durch exotische Zonen
121
Abb. 7: Das Board zwischen Bestückungsplan und Diagramm
Arcade-Computerspiel definiert. Auf ihm befinden sich – im Fall von Ms. PacMan – der Mikroprozessor, die ROMs mit der Software und vordefinierten Daten, RAM-Bausteine als Grafik- und Zwischenspeicher sowie verschiedene
Steuer- und Logikbausteine, die für die Kooperation der Hardware-Bestandteile zuständig sind (vgl. Abb. 6). Für Service- und Reparaturzwecke ¯26 ist dieses Board rasterartig aufgebaut und symbolisch in Zeilen (A-S) und Spalten (19) aufgeteilt.
Drei Elemente darauf verdienen unser Augenmerk, wenn es um die Frage des
realen Ortes von Ms. Pac-Man geht: Die EPROMs (erasable programmable ROM)
mit dem Programmcode. Sie befinden sich in 6E-J (bei kleiner dimensionierten
ROMs zusätzlich auch bis 6K-N) und besitzen jeweils 4096 Byte Kapazität. Die
EPROMs mit den Characters/Zeichen/Spielfiguren befinden sich in 5E und 5F.¯27
Das allgemeine RAM als Speicher für Berechnungen, Zwischenspeicher usw. in
4K-M. Diese letzten sechs jeweils 512 Byte großen Bausteine unterscheiden sich
noch einmal in ihrer Funktion für das Spiel: 4M und 4R bilden das ScratchpadRAM. 4K und 4N bilden das Video-RAM. 4L und 4P bilden das Color-RAM. Diese
122
Stefan Höltgen
RAM-Bausteine werden verschiedenen Adressen zugeordnet. Das ScratchpadRAM liegt in den Adressen 4C00 HEX-4FF1 HEX , das Color-RAM bei 4400 HEX-47FF HEX
und das Video-RAM 4000 HEX-43FF HEX .
Damit zeigt sich bereits, dass die Ms. Pac-Man-Spielfigur wie alle andere Computergrafik auch keineswegs nur Software ist, sondern stets abhängig von dezidierter Hardware, die durch ganz unterschiedliche Elemente an ganz verschiedenen ›Orten‹ zu ihrem Gestalt-Effekt beiträgt: durch ihre symbolische
Position in den EPROMs (für den Programmcode), im Scratchpad-RAM (als Informationsspeicher des Programms) sowie in den Registern des Mikroprozessors (welcher selbst zugleich der Strukturspeicher des Spiels ist), durch ihre
grafische Form (im Character-ROM) übertragen auf eine Positionsadresse auf
dem Bildschirm (im Video-RAM, nicht zu verwechseln mit dem speziell für die
Bildausgabe konzipierten VRAM!) und überlagert mit ihren Farben (im ColorRAM). Sie alle sind notwendig, damit ›Software‹ sichtbar wird. Der Bildschirm
selbst produziert diese Gestalt dann allerdings auch nicht als geschlossene
Form, sondern löst sie in Rasterzeilen auf, die ihre Entsprechung in den Adressen des Video-RAMs haben.
Suchen wir uns aus ›phänomenologisch naheliegenden Gründen‹ das VideoRAM als Repräsentant des Ortes der Ms. Pac-Man-Figur heraus, können wir
den Sprung auf der Adressbasis nachvollziehen, den sie leistet, wenn sie sich in
das linke untere ›Wurmloch‹ begibt und aus dem rechten unteren wieder erscheint: Video-RAM-Adresse 43B8 HEX ist die direkt am Bildrand gelegene Adresse innerhalb des unteren linken Wurmloch-Durchgangs; 4058 HEX die entsprechende gegenüber am rechten Bildrand. Die Distanz zwischen beiden beträgt
also 360 HEX Adressen. Die nachfolgende Abbildung 8 zeigt den Zusammenhang
zwischen der dargestellten Grafik und ihrer Position im Video-RAM:
Diese Distanz wird durchaus nicht nur symbolisch (rechnerisch bzw. algorithmisch) übersprungen, sondern auch im Realen. Die beiden Video-RAM-Bausteine fassen wie geschrieben jeweils 512 Byte. Der gesamte Videospeicher ist
genau doppelt so groß, weshalb zwei dieser Bausteine (4K und 4N) benötigt
werden. Das Video-RAM an 4K enthält die Adressen 4000 HEX-4200 HEX , das Video-RAM an 4N die Adressen 4201 HEX-43FF HEX . Der Sprung findet also nicht bloß
innerhalb eines integrierten Schaltkreises, sondern ganz profan zwischen den
Bausteinen 4K und 4N statt.¯28 Der Eingang der Spielfigur in den unteren linken und ihr Erscheinen am rechten unteren Wurmloch-Durchgang entspricht
also auf der materiellen Ebene der Spielhardware tatsächlich einer Distanzüberwindung: vom RAM-Baustein 4K (ihrem Ursprung) in den Mikroprozessor
(der ›exotischen Zone‹ ihrer Verrechnung) und von dort zum RAM-Baustein 4N
(ihrem Ziel).
JUMPs durch exotische Zonen
123
Abb. 8: Das Video-RAM, überlagert mit einem Level des Spiels
( jede Gitterzelle entspricht 32 Byte Video-RAM)
124
Stefan Höltgen
Abb. 9 : Links: Mikroskopische Aufnahme einer SRAM-Chipoberfläche¯30; Rechts: Prinzipschalt-Diagramm eines SRAM-Speichers
Quantensprünge
Der letzte Schritt zum Ort der Spielfigur führt uns auf die Silizium(ober)fläche des RAM-Speichers selbst. Auf ihm sind die Flip-Flops gitterartig angeordnet – dieser Aufbau¯29 ist ein direktes Erbe des Magnetkernspeichers. Was sich
im ›Großen‹ der Adressierung zwischen Mikroprozessor und ROM-/RAM-Speichern abspielt, wiederholt sich in der Mikroelektronik der Speicher noch einmal.
Bei den beiden Video-RAMs handelt es sich um Static-RAM-Bausteine (SRAM)
des Typs »2114-2« (vgl. Intersil o. J. und Völz 2007, 184-187). Diese speichern ihre
Informationen bitweise durch Flip-Flops. Eine Adresse bezieht sich dabei stets
auf zwei 4-Bit-Flip-Flop-Gruppen, in denen also zusammen 1 Byte Daten gespeichert sind. Beim Zugriff des Mikroprozessors auf solch eine Adresse findet
zunächst ein Chip-Select statt, der aufgrund der Adresse den benötigten RAMBaustein auswählt. Über den Adresskodierer wird dann ein Row- und ColumnSelect ausgeführt, mit dem die zwei zur Adresse gehörigen 4-Bit-Einheiten
(Low Nibble, High Nibble) auf dem SRAM lokalisiert und ausgewählt werden.
Diese werden sodann seriell ausgelesen, durch einen Seriell-Parallel-Wandler (Multiplexer) zu einem 8-Bit-Datensatz zusammengefügt und an den Datenbus des Prozessors übertragen, der damit weiter operiert. Um die gesamte
Ms. Pac-Man-Spielfigur vom Prozessor ins Video-RAM zu schreiben, muss dieser Vorgang 32mal wiederholt werden.
JUMPs durch exotische Zonen
125
Der »2114-2«-RAM-Baustein ist in NMOS-Bauweise konstruiert (bestehend aus
n-Kanal-Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren, vgl. Rost 1966, 140-151
und Malone 1995, 78-80). Seine Transistoren werden durch einen aufwendigen fotolitografischen und chemo-physikalischen Prozess direkt in eine Silizium-Oberfläche (Wafer) implementiert (Integrierter Schaltkreis). Ein Transistor
ist ein schaltbarer elektrischer Halbleiter. Der Schaltprozess geschieht bei ihm
voll elektronisch, indem zwei voneinander entfernte (isolierte) Kontakte Source und Drain in einem dotierten Halbleiter eingebettet sind, der selbst einen
dritten Anschluss (Gate) besitzt. Beim Anlegen einer Spannung an das Gate verändert sich die Leitfähigkeit des Halbleiters vom Nichtleiter hin zu einem Leiter durch Verkleinerung der zuvor isolierend wirkenden Ladungszone (vgl. Malone 1995, 64). Die elektrische Leitfähigkeit in Feststoffen/Kristallen entsteht
dadurch, dass Elektronen zwischen zwei unterschiedlich hohen Energieniveaus
(Bändern) hin und her springen können. Auf dem Oszilloskop zeigt sich, dass
dieser Schaltprozess nicht instantan geschieht, sondern eine (wenn auch sehr
steile) Flanke zwischen Null Volt und (hier) +5 Volt (beim »2114-2« sind das 200
Nanosekunden) besteht. Auf der Quantenebene fließen die Elektronen jedoch
nicht, sondern befinden sich auf distinkten Energieniveaus in den Orbitalen
des Siliziumatoms und wechseln innerhalb des Kristallgitters vom Valenz- in
das Leitungsband durch so genannte »Übergänge« (Nils Bohr hatte dafür 1913
den Begriff des »Quantensprungs« geprägt, vgl. Wolf 1990, 94-102). Bei diesem ebenfalls nicht instantan vollzogenen Vorgang ›überspringen‹ sie Bandlücken, welche »quantenmechanisch verbotene Zonen« darstellen (vgl. Rost 1966,
108ff.).
An dieser Stelle können wir wieder an die ›Oberfläche‹ des Spiels und seiner
Grafik zurückkehren, denn derselbe Effekt ist auch für das Erscheinen eines
Leuchtpunktes auf dem Bildschirm verantwortlich: Dort, wo ein Elektron aus
dem Kathodenstrahl auf die Monitor-Innenseite trifft, regt es ein Elektron des
dort aufgebrachten Leuchtstoff-Moleküls an. Dieses ›springt‹ auf ein höheres
Energieniveau und gibt beim Rücksprung auf sein ursprüngliches Niveau langwelliges (sichtbares) Licht ab. Je nach chemischer Beschaffenheit des Beschichtungsmaterials leuchtet ein unterschiedlich farbiger Lichtpunkt auf. Wollte
man der Homologie folgen, könnte man den Topos des Sprungs durch exotische Zonen in Ms. Pac-Man also bis auf die Quantenebene verfolgen.
126
Stefan Höltgen
Sprungziel
Die zuletzt geschilderten Prozesse finden in nicht mehr sinnlich wahrnehmbaren Zeitabständen und technisch nicht mehr messbaren Größenordnungen ¯31
statt. Sie sorgen dafür, dass der Computer als zeitbasiertes Medium mit seiner
getakteten Eigenzeit durch seine Rechengeschwindigkeit in der Lage ist, nicht
nur makroweltlich existierende Phänomene in Hard- und Software nachzubilden, sondern auch Phänomene und Vorgänge, die gar nicht wirklich existieren.
Hierin zeigt sich einer der wesentlichen Gründe für die Verwendung von Computern zu Simulationszwecken – beispiels weise exotischer physikalischer Prozesse, die mit anderen Medien nicht darstellbar wären (wie >3-dimensionale
Objekte ¯32) oder Hyperspace-, Teleportations- und Wurmloch-Effekte.
Dass in Computerspielen diese physikalischen Exoten zu Motiven und sogar zu
Elementen des Gameplay werden, stellt eine Eskalation dieses Vermögens dar,
denn wenn jedes Computerprogramm auch immer ›bloß ein Spiel‹ ist (Computer können gar nichts anderes als Situationen symbolisch durchzuspielen),
dann sind Computerspiele die ›ehrlichste‹ Art von Computerprogrammen, die
das ludische ›Was wäre wenn?‹ der Simulation durch implementierte Interaktivität auf die Spitze treiben. Im vorliegenden Fall bringt das Spiel auf der Basis
von operativer Schrift und Mikroelektronik durchspielbare Diagramme auf den
Bildschirm, bei denen ein Blick unter die phänomenale Erscheinung ihrer Oberflächen Analogien und Homologien zu seinen Ästhetiken anbietet.
Die Darstellung solcher Effekte ist natürlich nicht allein Computern vorbehalten. Wurmlöcher, Hyperspace und Teleportation sind ein populäres Motiv
in der Science-Fiction-Literatur und dem Science-Fiction-Film. Der maßgebliche Unterschied zwischen diesen Motiven und der Adaption in Computern
und Computerspielen zeigt jedoch zugleich, wie radikal anders dieses Medium seinen Vorläufern gegenüber ist: Wo Literatur, Film, Comic und andere die
Trennung zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit stets wahren müssen und den
Bruch der erzählten Zeit (durch Montage, Vorgriff, Retrospektion …) stets nur
in ihrer Diegese vollziehen und ihre materielle Oberfläche davon nicht affiziert
wird, obliegt dem Computer die Manipulation beider Zeitachsen. Er zeigt nicht
nur den Sprung – er springt selbst auf Basis der in ihn einprogrammierten ›Narration‹ (namens Programmcode) und der in ihm implementierten ›Sprache‹
(namens elektronische Schaltung). Damit liefert der Computer beim Abarbeiten des Spielcodes zugleich einen Einblick in sein medientechnisches Apriori.
Was Spiele wie Portal inszenieren, ist also neben ihrem Motiv auch eine Epistemologie ihrer medialen Verfassung. Dies könnte sich natürlich auch an Portal selbst zeigen lassen, denn wie jedes Programm auf einer von NeumannJUMPs durch exotische Zonen
127
Computerarchitektur nutzt es die oben beschriebenen Sprünge, um diese auf
seiner Oberfläche zu inszenieren. Insofern stellt der Rückgriff auf Ms. Pac-Man
eine (didaktische) Reduktion dar, die sich problemlos auf neue Plattformen
und Codes erweitern ließe, dann jedoch ein wesentlich größeres Maß an Komplexität vorfinden würde. Im Sinne einer ›grundlagenforschenden‹ Medienarchäologie sollte Ms. Pac-Man als Beispiel für eine solche Analyse genügen.
Das Wurmloch stellt zugleich ein passables Sinnbild der hier geleisteten medienarchäologischen Archivarbeit dar:
»The potential transmissibility of almost all events means that the route to primetime is more
akin to what physicists call a ›wormhole‹ – a shortcut connecting distant points in space and
time – than to the conventional sociological understanding of a linear bureaucratic process«
(Frosch/Pinchevski 2009, 303).¯33
Diese Verkürzung von Distanzen und Zeiträumen ist auch das Ansinnen einer ›Archäologie der Gegenwart‹, wie sie die Medienarchäologie darstellt. In
der Verkürzung von Textfunden auf ihre diagrammatischen (Un)Möglichkeiten, der gerafften Motivgeschichte von Computerspielen auf die Frage nach
ihren Ästhetiken des Transports und im Brückenschlag zwischen Code- und
Hardware-Ebene eines Computerspiels ergeben sich Erkenntnisse, die über die
ästhetische, soziologische, historische, aber auch die informatische und elektrotechnische Ebene hinaus gehen.
Anmerkungen
01˘ Kittler (2002) handelt vom »Was-Sein von Computerbildern« (ebd., 178). Ich will mich im
Folgenden auf deren ›Wo-Sein‹ konzentrieren.
02˘ Denn das Computerspiel ist ein zeitbasierter Medieninhalt; der Aufenthaltsort ist daher
immer auch abhängig von der Zeit des Spiels. Computergrafik ist im ästhetischen wie technischen Sinne chronotopisch.
03˘ Diese Arten der Fortbewegung haben das allgemeine Interesse zumindest so weit geweckt, dass in der Wikipedia-Enzyklopädie verschiedene Einträge zu deren fiktionalen Adaptionen existieren. So gibt es eine Liste zu »Video game characters who can
teleport« [http://en.wikipedia.org/wiki/Category:Video_game_characters_who_can_teleport], letzter Abruf: 30.04.2014; »Wormholes in Fiction« [http://en.wikipedia.org/wiki/
Wormholes_in_fiction], letzter Abruf: 30.04.2014; »Portals in fiction« [http://en.wikipedia.
org/wiki/Portals_in_fiction], letzter Abruf: 30.04.2014; und »Hyperspace ([in] science fic-
128
Stefan Höltgen
tion)« [http://en.wikipedia.org/wiki/Hyperspace_%28science_fiction%29], letzter Abruf:
30.04.2014. Eine besondere Verführung der genealogischen Art wäre es, den Spuren, die
Physik und Mathematik in solchen Fiktionen hinterlassen haben, nachzugehen.
04˘ Im Talmud beschreibt kefitzat ha-derekh die Fähigkeit des Reisenden, Wege räumlich zu
verkürzen und auf diese Weise schneller zu reisen. [http://www.pantheon.org/articles/k/
kefitzat_ha-derekh.html], letzter Abruf: 01.09.2014.
05˘ In Tausendundeine Nacht gehört es zu den Fähigkeiten der Dschinns, ohne Zeitverlust
beliebige Strecken zu überbrücken. In der Geschichte Aladdin und die Wunderlampe findet eine solche Reise zwischen China und Marokko statt. Vgl. [http://www.gutenberg.org/
files/14221/14221-h/14221-h.htm], letzter Abruf: 01.09.2014.
06˘ Die englische Originalfassung findet sich online unter: [http://www.geom.uiuc.
edu/~banchoff/Flatland/], letzter Abruf: 30.04.2014.
07˘ Zu mathematischen Hyperräumen in ihrer Geschichte und ihren Themenfeldern s. Wicks
(1991).
08˘ Diese so genannten Einstein-Rosen-Brücken ergeben sich aus der Mathematik der
Allgemeinen Relativitätstheorie und sind daher rein theoretische Gebilde. Ihre mathematische Herleitung beschließen die namensgebenden Autoren daher schon beinahe entschuldigend: »In any case here is a possibility for a general relativistic theory of matter
which is logically completely satisfying and which contains no new hypothetical elements«
(Einstein/Rosen 1935, 77).
09˘ »Die Spannung, durch die das Wurmloch am Einsturz gehindert werden soll, muss mindestens 10 17 -mal größer sein als die Dichte der Substanz, mit der das Wurmloch gebaut wird.
Ein solches Material ist bislang unbekannt« (Vaas 2013, 176).
10˘ Als konkretes Beispiel wäre hier Micro Chess (1976, Peter R. Jennings) zu nennen, das für
Computer mit Monitor (Apple II, TRS-80 Model 1) eine wie oben beschriebene Spielfeldgrafik
präsentierte. Das Phänomen eskaliert in der Arcade-Schach-Spielreihe Achron (1983f.), in
der die Teleportation von Figuren als regulärer Zug ausgewiesen ist.
11˘ Von Midway publiziert, war es ursprünglich ein Hack des Original Pac-Man-Spiels, weshalb
es auf derselben Platine basiert und große Ähnlichkeiten in der Software aufweist: »Ms.
Pac-Man shares a great deal of code with the original Pac-Man« (Hodges 2008).
12˘ Im weiteren Verlauf, wenn der Flatlander von einem Kugelwesen in die dritte Dimension
eingeladen wird, steht die Grafik des Buches jedoch vor den üblichen Problemen perspektivischer Darstellungen (vgl. Abbott 2009, 127; 145).
13˘ Seine Geschichte wäre in jedem Fall aber noch zu schreiben (vgl. Gilbreth/Gilbreth 1921).
14˘ Pseudocode ist keine Programmiersprache, sondern versucht mit natürlichsprachlichen
Mitteln und formalsprachlicher Strukturierung Algorithmen gleichzeitig für den Menschen
lesbar und für eine spätere Implementierung in eine Programmiersprache adaptierbar zu
machen.
15˘ Den Aufbruch dieser scheinbaren Linearität des Codes durch Sprünge visualisiert Ben Fry
JUMPs durch exotische Zonen
129
innerhalb seines »distellamap«-Projektes für die Atari-VCS/2600-Adaption von Portal, indem er Linien von jeder Sprungquelle zum Sprungziel in den Code einzeichnet: [http://benfry.com/distellamap/150dpi/pacman-illus-150dpi.png ], letzter Abruf: 10.05.2014.
16˘In Assembler-Sprachen werden Zahlen häufig im hexadezimalen System angegeben.
1632 HEX entspricht der Dezimalzahl 5682 10. Im Folgenden kennzeichne ich das Zahlensystem
mit einer tiefergestellten 2 (binär), 10 (dezimal) und 16 (hexadezimal). Bei der Code-Analyse
beziehe ich mich auf Angaben und Werte in Zaks (1987).
17˘ »1=pacman about to enter a tunnel, otherwise 0« (siehe Kommentar-Vorspann in Lawrence
o. J.).
18˘ Lawrence hat das Spiel nicht programmiert, sondern disassembliert und kommentiert. Mit
anderen Worten: Er hat das Reale des Computerspiels in symbolisch lesbare Form – einen
Text – gebracht, was allgemein als Ausweis für Autorschaft gelten kann.
19˘ Wolfgang Coy erinnert daran, dass die Assembler-Mnemonics ihren Ursprung in der griechischen Gedächtniskunst hatten: »Eine Anordnung, die der Zeit, wird durch eine andere
Ordnung, die des Raums simuliert« (Coy 1993, 367).
20˘ Im Sourcecode steht an dieser Stelle der Befehl »052c« (eine konkrete Adresse); »jr« ( jump
relative, Opcode 20 HEX ) verlangt aber eine Distanz (von -127 bis +128, also: Springe von hier
soundsoviele Adressen vorwärts oder rückwärts). Die ›Distanz‹ 052c HEX wäre hier illegal
groß. Hier hat der Disassembler den relativen Sprung um 5 HEX Adressen nach vorn (in die
Adresse 052c HEX ) falsch als absolute Adresse übersetzt. Auf der Ebene der Opcodes, die ja
letztlich entscheidend für die Ausführung sind, ist die Zeile aber korrekt. Offenbar soll der
Kommentar »(5)« genau dies angeben. Diesen Umstand, dass relative Adressierung mit
dem so genannten Zweierkomplement arbeitet, zu erwähnen lohnt angesichts des Themas
auch deshalb, weil sich hier der Zahlenstrahl als gebogen darstellt: Ist ein Byte voll gezählt
(bei FF HEX angekommen), enthält es nach der Addition von 1 den Wert 0. Hier findet also ein
›Rücksprung‹ vom einen zum anderen Ende des Zahlenstrahls statt.
21˘ Lawrence o. J.
22˘ Lawrence (o. J.) gibt im Einführungskommentar an, dass 4da0 HEX einen Status-Wert des roten Geistes speichert. Das ergibt zumindest an dieser Stelle keinen Sinn. Entweder liegt ein
Interpretationsfehler vor oder 4da0 HEX wird von mehreren Programmteilen unterschiedlich
genutzt (was den Code unnötig obfuskieren würde).
23˘ Das Register a, der ›Akkumulator‹, ist beim Z80-Mikroprozessor und vielen anderen 8-BitProzessoren das zentrale Register, in dem arithmetische und logische Operationen durchgeführt werden. Da sich diese Operationen zumeist implizit und gezwungenermaßen in
Register a abspielen, ist es wichtig, vor solchen Operationen erhaltenswerte Inhalte von a
in einem anderen Register zwischenzuspeichern.
24˘ Bei Sprüngen in Subroutinen wie in 052c HEX wird zusätzlich auch die Rückkehradresse in
einem Stapelspeicher hinterlegt.
25˘ Es ist sogar ein konstitutiver Bestandteil von Turingmaschinen, bedingte und unbedingte
130
Stefan Höltgen
Sprünge im Code ausführen zu können.
26˘ Zur Lokalisierung bestimmter Elemente des Spiels lässt sich die Fehlfunktion einzelner
Speicherbausteine nutzen. Offizielle wie inoffizielle ›Troubleshooting‹-Anleitungen verfahren oft so, dass sie einen sichtbaren Fehler in der Darstellung des Spiels einer möglichen
Fehlerquelle (einem Baustein) zuordnen (vgl. King o. J.).
27˘ Hier ist die einzige reale Stelle, an der sich Pac-Man von Ms. Pac-Man unterscheidet. Alle
anderen Unterschiede sind ›bloß symbolisch‹ (also im unterschiedlichen Programmcode)
(vgl. N. N. 2000).
28˘ Beide Bausteine sind auf dem Board zwar nur 1 cm voneinander entfernt aufgelötet, aber
nicht direkt miteinander verbunden, sondern über einen Adress-Baustein, der wiederum
mit dem Mikroprozessor verbunden ist. Die ›Wege‹ zwischen den beiden RAM-Bausteinen
werden von den Signalen auf den Leiterbahnen der Platine zurückgelegt.
29˘ Ich möchte die Tatsache, dass sich die Matrix der Spiellabyrinth-Grafik von Ms. Pac-Man
über den schachbrettartigen Aufbau der Platine (mit Spalten und Zeilen) und die rasterförmige Organisation der Bit-Speicher im SRAM-Chip bis hin zur Gitterstruktur des SiliziumKristalls selbst durchschlägt, nicht unerwähnt lassen, sie aber aus methodischen Gründen
auch nicht überbetonen.
30˘ Für die Aufbereitung des 2114-2-RAM-ICs sowie dessen laserfotografische Abbildung
danke ich der Arbeitsgruppe Neue Materialien von Frau Prof. Dr. Saskia F. Fischer (Institut
für Physik der Humboldt-Universität zu Berlin), namentlich Herrn Jürgen Sölle.
31˘ Die Beobachtung von Vorgängen auf der Quantenebene beeinflusst die Vorgänge
(Heisenberg‘sche Unschärfe), vgl. Wolf 1990, s. 11.
32˘ Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Animation »Hypercube«, bei der ein 0- bis 6-dimensionales Objekt animiert wird: [https://www.youtube.com/watch?v=-x4P65EKjt0],
letzter Abruf: 30.04.2014.
33˘ Für diesen Hinweis danke ich Wolfgang Ernst.
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