OLIVER NODING
MARCOS EWERT
Editions Moustache
Marco Siedeimann
Eintrachtstrasse
52134
Deutschland
Mit Ausnahme beider Vorworte und des Nachworts wurden sämtliche
abgedruckten Texte zwischen 2006 und 2008 auf dem Blog "Sauft Benzin
Ihr Himmelhunde" erstveröffentlicht:
Copyright 2006, 2016 Oliver Nöding & Marcos Ewert
ISBN: 978-3-96034-108-6
Druck & Gesamtherstellung:
Books on Demand GmbH
ln den Tarpen 42, 22848 Norderstedt
Deutschland
Layout:
Marco Siedeimann
Cover-Design:
Christian Schmalohr
Das
SilentRage
USA 1982
Regie:
Drehbuch:
Kamera:
Musik:
Darsteller:
Michael Miller
Joseph Fraley, Edward Di Lorenzo (uncredited)
Robert C. Jessup, Neil Roach
Richard C.
Peter Bernstein, Mark Goldenberg,
Sheriff Dan SteChuck Norris
vens
Dr. Tom Haiman
Ron Silver
Dr. Phillip Spires
Steven Keats
John Kirby
Brian Ubby
Alison Haiman
Toni Kalem
Dr. Paul
Wiiliam Finley
Charlle
Stephen Furst
Der Feind im Inneren
Dem in psychiatrischer Behandlung befindlichen lohn Kirby
brennen eines Tages die Sicherungen durch: ln einem heftigen
Amoklauf bringt er seine Vermieterin und einen Nachbarn um
und kann nur durch mehrere Schüsse gestoppt werden, als er
sich der Verhaftung durch Sheriff Stevens widersetzt. An statt
den Gehirntoten so einfach sterben zu lassen, benutzen ihn die
Ärzte Ha/man, Spires und Vaughn für ein Experiment: Sie injizieren ihm ein Mittel, dass seine Selbstheilungskräfte immens
beschleunigt und potenziert. Leider geht dieser Schuss nach
hinten los, denn nun sieht sich das kleine Städtchen einer unverwundbaren Killermaschine
Oliver:
DAS STUMME UNGEHEUER bildet
335
idealen
Der Feind im Inneren
rem neuen Serienkiller-Biock. Auch hier
」セャョNイィエ@
in Prozesse
die
die sie nichts angehen,
ignoriert und überschreitetjegliche bestehende Moral und kreiert so letztlich ein Monster, über das sie
keine Kontrolle mehr hat. DAS STUMME UNGEHEUER
ist leider massiv unterschätzt und etwas in
weil es
senheit
Film nicht um einen Actionfilm im eigentlichen Sinne
Man merkt DAS STUMME UNGEHEUER dann
auch deutlich an, dass die Macher einige Probleme
denn
wenigen klassischen Norris-
Szenen, wie die saftige Kneipenschlägerei mit einer
Rockergang, haben nur wenig Bindung zum restlichen Geschehen. Es überwiegt ganz klar der Horroranteil, der dem Film dann auch seine wirklich herausragenden Momente beschert und ihm einen
kleinen Sonderstatus im hier besprochenen "Männerkino" einräumt.
Marcos: Der Film eignet sich auch deshalb in der Folge zu
RETALIATOR, weil in Millers Film die wissenschaftli-
chen Aspekte reine Staffage sind, um vor deren Hintergrund wieder die üblichen Fragen über Moral und
Ethik eines solchen Tuns aufzuwerfen. Von der
Nüchternheit des zuvor besprochenen Filmes ist hier
nichts zu merken, vielmehr geht es, wertfrei gemeint, um das spekulative Ausbeuten der Angst vor
einer ihr Handeln nicht abschätzenden Wissenschaft
336
Das stumme
und die Sünde, die dieses Sich-an-der-NaturVergehen bedeutet. Die
Wissenschaftler erscheinen daher auch weniger
zise als mehr wie Geschwafel. Es ist
Gefühlsfilm, auch wenn er sich sehr
bar gibt. Wenn wir beim äußeren Gerüst
DAS STUMME
eine bunte Mischung aus Straßenwestern mit Hillbilly-Eiementen, Horror- und Science-Fiction-Film mit
Mad-Scientist-Bezug sowie Kampfsportfilm darstellt.
|[ijセlaヲZL@
eher
bastard, denn als wirklich funktionierenden Genrehybrid bezeichnen. Ähnlich dem tautologischen
Prinzip endet der Film mit seinem Anfang: der Konfrontation zwischen Sheriff Stevens und dem Killer
John Kirby. Dazwischen scheinen nahezu zwei voneinander getrennte Geschichten erzählt zu werden,
die nur selten Berührungspunkte aufweisen.
Stefan:
Mich hat vor allem diese "Mischung/(, von der Marcos spricht, fasziniert. Die Erzählstränge aus MadScientist-SF, Horror-/Siasher-Film und natürlich Martial Arts laufen bis zum Ende ja augenscheinlich vollständig nebeneinander her. Das Cross-Over, das der
Film versucht ,u sein- wohl auch um einige der populärsten
Mir kam
337
Der Feind im Inneren
der Selbstreflexivität vor, dass die Sequenzen erst
pur einem Genre zuordenbar bleiben und
sich gegen Ende immer mehr miteinander vermischen. DAS STUMME UNGEHEUER ist ein Film, der seine Genre-Hybridität in sich selbst noch einmal abbildet: Da bewegen sich Kino-Welten aufeinander
zu. Von
hat mir der dezente Einsatz vor allem
der Chuck-Norris-Action sogar sehr gut gefallen. Ich
kann mich an keinen Norris-Film erinnern, in dem er
so wenig Action, aber so viel emotionale und sogar
s・^」ウコeセョ@
hatte. Es ist
dass
er das nicht darstellen könnte. Das sieht man ja sehr
deutlich. Auch wenn sein Mienenspiel- etwa in der
Szene, als er seinen sterbenden Buddy entdeckt nicht gerade facettenreich ist: Man kauft es ihm
doch ab. Und dieser "konstruktivistische Anfall" seiner Freundin, die nach der Liebesnacht sofort wieder an der Möglichkeit einer Beziehung mit ihm
zweifelt. Da reagiert er sowas von souverän! Aber
reden wir nicht von der Liebe und Verständnis, hier
geht es um Mord und Wahnsinn, oder?
Oliver:
Schön, dass der Kelch bei "Mord und Wahnsinn"
sofort an mich weitergereicht wird! Diese beiden
schönen Aspekte des menschlichen Daseins werden
schon in der Auftaktsequenz, die bereits mit den
Credits einsetzt und mehrere Minuten lang ohne
Schnitt auskommt, ausgelotet. Die bedrohliche
Stimmung dieser Sequenz trägt den Film dann auch
338
Das stumme
über den eher harmlosen
Kickbox-Action, auf die ihr eben eingegangen
Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Art Kirchenfenster, neben dem die Credits auf schwarzem
tergrund platziert sind. Mit Ende der Credits
zunächst diese schwarze
den Blick
und
eine schmucklose Wand
schwenkt die Kamera nach unten und zeigt uns einen karg eingerichteten, schummrigen
dem John Kirby schwitzend und um Fassung ringend
Mi!ler
men mit seinem Kameramann sehr häufig mit einer
solchen Veränderung des Raums: Da eröffnen sich
ständig neue Perspektiven, wird die Aufmerksamkeit
vom Bildvorder- auf den Bildhintergrund verschoben. So etwa auch im Anschluss, wenn Kirby, den
das Geschrei spielender Kinder in den Wahnsinn
treibt und der selbst merkt, wie er die Kontrolle verliert, aus dem Haus in den Garten geht, um eine Axt
zu holen, und die Kamera bei seiner Vermieterin im
Hausinneren bleibt. Wir sehen das drohende Unheil
im Hintergrund durch ein Fenster, während es für
die Protagonisten zunächst unsichtbar bleibt. Diese
subtile Bildgestaltung und -dramaturgie bleibt beinahe ausschließlich den Szenen um Kirby vorbehalten, während de'r Strang um Chuck
Fernsehserie
vens auch aus einer damals
wie KNIGHT RIDER stammen
339
vnnn'l"o
Der Feind im Inneren
Marcos: Das vermeintliche Kirchenfenster zu Beginn führt
mich
Mal in die Irre und
der
des Filmes voraus. Es geht, wie bereits angedeutet,
eben
um eine
mit der Frage, ob Menschen den . . . ,. ,. .... ,.,.".. ..... ,._ ....
1"\ .....
Code
sondern mehr um eine
Nachdem uns die
die Auflösung schenkt, befinden wir uns nicht in einem, durch das farbige Fenster und die unheilschwangere Synthiemusik suggeriert, Zimmer der
schnitte und ominöse Fotografien an seiner Wand
hat und sich wie im Fieberwahn hin und her wälzt.
Es fällt bereits in den ersten Minuten auf, dass die
Dissoziationen des Filmes sich von Anfang an wie ein
roter Faden durch selbigen ziehen. Nicht nur im
Hinblick auf die später erkennbaren Genreüberlappungen, sondern auf nahezu allen filmischen Ebenen. Die Gestaltung von Kirbys Zimmer hat etwas
Sakrales, aber nein, wir befinden uns nur in einer
Absteige irgendwo im mittleren Südwesten, die
Tonspur versorgt uns mit permanentem Maschinengewehrsalven, die technisch sehr überzeugend klingen, doch das Geschrei der Kinder macht deutlich,
dass es sich nur um ein Kriegsspiel handeln muss.
Kirby wird von einem der Kinder ans Telefon gebeten, doch der Zuschauer muss sich erstmal klarmadass es
nicht um Kirbys Eigenheim han-
340
Das stumme
delt und er in diesem
das einen
Eindruck macht, ein
Grund, warum dies alles vom Zuschauer erstmal
entschlüsselt werden muss,
in
ren Blick
weswegen
fremdlieh wirkt, da der Mensch am
uns nur so viel wie wir
Augen hat,
Mensch in diesen Räumlichkeiten wahrnehmen
wie
seinem Irrsinn
erscheint, und können uns nicht in eine gesicherte
Position begeben. Eine Distanz wird erstmalig aufgebaut als Sheriff Stevens eintrifft und Norris aus
der Untersicht gefilmt geradezu majestätisch den
Tatort betritt.
Stefan:
Ja, die Exposition ist exzellent. Nicht nur wird die
Eskalation der Bedrohung hierfür den Zuschauer regelrecht körperlich nachvollziehbar, auch ist das lrrewerden Kirbys erstaunlich prägnant inszeniert.
Das kurze Telefonat mit seinem Arzt, die Großaufnahmen seines schwitzenden, angstverzerrten Gesichts und dann der Absturz in eine Art Apathie. Und
das vermittelt aUes die Kamera. Überhaupt sucht die
Karnerarbeit des Films
Das
an etlichen Szenen. Da war
die
ne,
aus
341
BセG
Q
Q[GBM
Der Feind im Inneren
Haus
(gefilmt durch das Küchenfenster, wäh-
rend im Vordergrund
Mutter mit den Kindern
oder irgendjemandem spricht) und dann seine zielstrebige Verfolgung, die vor der Badezimmertür endet. Wie Kirby die Tür hier mit der Axt öffnet und
dann durch den Riss schaut, das zitiert natürlich SHINING, aber kurz vorher
es eine ganz kurze Sze-
ne, in der der Wahnsinn des Täters für mich noch
viel besser filmisiert ist: Der Typ mit dem Unterhemd drischt Kirby einen Stuhl auf den Rücken, diesich, schlägt dem Angreifer
Axt in die Stirn und
macht sich sofort wieder ans Aufhacken der Tür. Ich
glaube, eine so knappe Exposition psychischer (Zer)Störung habe ich seitjener legendären Tür-Szene in
THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (Leatherface er-
schlägt einen der Teenager mit einem Hammer,
zerrt ihn in seinen Schlachtraum und reißt die Metallschiebetür zu- knapp 5 Sekunden Montagestakkato) nicht gesehen. DAS STUMME UNGEHEUER
scheint auf den ersten Blick mit dieser Exposition zu
jener Sorte Serienmörderfilmen zu gehören, in der
keinerlei Empathie für den Täter gestiftet wird, in
der die Pathologie nur kurz angerissen und dann mit
der Bekämpfung begonnen wird- hierin wie in vielem ist er Carpenters HALLOWEEN recht ähnlich. Das
stimmt aber nur halb, denn Kirby ist eine überaus
tragische Person. Nicht nur ist er nicht selbst schuld
an seinem Amoklauf, auch wird er ja im Verlauf der
342
Das stumme
Handlung immer mehr zum Instrument der Mad
Scientists. Dass sich die Figur ständig auf der Linie
zwischen den (bösen) Killern des Slasherfilms und
den (kranken) Mördern des eher ai'Y'l.n-:.,rn
rienmörderfilms bewegt, liegt an der Mimik von
an Libby (den ich übrigens in
HIFT COLLECTION kennen,.,."",,. _"...LGセB@
Oliver:
NIGHTS-
Dieser Axtmord, den Stefan anspricht, ist auch deshalb so beeindruckend, weil er so beiläufig passiert
und ganz ohne brachiale Gewalt und Overacting in
Szene
ist.
des
so, wie er sich einer lästigen Fliege entledigen würde, mit einer kurzen, präzisen und somit ungemein
pragmatischen Bewegung. Das verleiht der Szene
einen immensen Realismus. Es wird nicht nur verdeutlicht wie stark dieser Kirby in seinem Wahn ist,
sondern auch mit welcher Emotionslosigkeit er
agiert. Das "stumm" bzw. "silent" aus dem Titel erscheint mir da durchaus ambivalent: Nicht nur sagt
Kirby nach dem Telefonat zu Beginn kein einziges
Wort mehr, auch in ihm spricht nichts mehr. Er ist
die jeglicher menschlicher Regung, aber auch jeder
Vernunft
beraubte
Maschine.
Der moralisch-
religiöse Diskurs dominiert somit nicht nur den
Handlungsstrang um die Wissenschaftler und ihre
Experimente, stellt die üblichen Fragen nach
Verantwortung und die Grenzen
ris, sondern setzt sich
343
I'Y'loncr·h
Der
Andere, Dunkle
im Inneren
Die zahl-
reichen Tür-Szenen sowie das Finale am Brunnenschacht lassen sich sehr durchgehend als Metapher
lesen. Kirby wird als das, was
Verborgenen" lauert, gezeichnet. Und
indem man ihn
kann man
einem Brunnen nur zeitweise entsorgt ist und jederzeit wieder
tauchen
klarmacht.
Für diese Interpretation spricht auch die Darstellung
mit den maskier-
recht
ten Kampfzombies des Slasherkinos hat er dennoch
nur wenig gemein. Auch seine psychische Disposition, die ihn erst umkippen lässt, wird nicht weiter
spezifiziert: Sie könnte jeden treffen.
Marcos: Kann mich euren Ausführungen nur anschließen und
führe sie noch in meinem Sinne weiter. Der Axtmord
macht buchstäblich auf einen Schlag deutlich, in was
für einer Realitätskonstruktion wir uns befinden.
Hier gibt es keine unrealistischen Splatterszenarien.
Der Nachbar bekommt die Axt kurz in den Schädel
gerammt, dreht sich noch mit einem zerstörten Gesicht zur Kamera und bricht dannunspektakulär zusammen. Dies verleiht dem Film eine ungewöhnliche, weil authentische Härte und nicht zuletzt durch
solch trockene Elemente erweckt der Film den Eindruck eines Kammerspiels. Die von Stefan ins Feld
344
Das stumme
geführte Verbindung zu Carpenter lässt sich zumindest soweit knüpfen, dass Miller den
einem ähnlichen Minimalismus versorgt. Die Tonspur arbeitet relativ
Sounds ertönen, sind sie sehr klar
und
Schnitt
die Situationen
läuft nach seiner endgültigen Transformation zum
dem das
ehe inhärent ist- in einem Overall herum, der die
Gleichförmigkeit seiner Figur als Identitätsloser unterstreicht. Das Ganze kulminiert dann in der Musik,
die den Minimalismus Carpenters eindringlicher
Kompositionen regelrecht zu zitieren scheint. Weiterhin möchte ich noch zwei weitere Punkte verbinden, die von Oliver erwähnt wurden. Der Aspekt des
"Stummen" bzw. des "Silent" und der Physis Kirbys,
die eine Externalisierung seiner "Wut" oder eben
"Rage" darstellt. Denn schon der Originaltitel spielt
auf den zentralen Punkt der Disposition Kirbys an:
Wut ist eine der sieben Basisemotionen, wie Paul
Ekman sie definiert hat, und kann in ihrer Funktion
als einer der aaaptiven Ur-Motoren
ches Verhalten gesehen werden.
ihrer Reinform
345
Der Feind im Inneren
destruktiv wirken. So bei
Ausbruch reine,
Wut
ist, die nur kurzzeitig befriedigt werden kann. Kirbys
zufriedenes, geradezu infantil erfreutes Gesicht
macht dies deutlich, wenn er es endlich geschafft
hat, seine Nachbarin mit
Axt zum
zu
Nach kurzem Innehalten macht er sich
dann ans weitere Mordwerk, welches Sheriff Stevens nur unter größten Mühen unterbinden kann.
Die reine, ungebremste Wut- ein einziger destrukschenkt
Kraft, dass er Handschellen zerreißen und Autotüren
mit den Füßen regelrecht wegsprengen kann. Die an
ihm durchgeführten Experimente, die höhere Gehirnfunktionen zerstören, scheinen eben dieses auf
das Kleinhirn fokussierte Verhalten zu begünstigen.
So erfährt die "stumme Wut{/ eine Dopplung, da sie
für gewöhnlich nur in uns schlummert, Kirby sie
aber auch nach Außen lebt. Doch, um diesen Bogen
auch noch zu spannen, ist Stevens von einer ähnlichen Ur-Kraft erfüllt. Im Gegensatz zum Amok laufenden Kirby hat er diese allerdings kanalisiert, was
sich in seiner perfekt beherrschbaren Kampftechnik
äußert, mit der er eine ganze Rockerbande "aufmischen" kann.
Stefan:
Die Wut als reine Emotion zu figurieren ist in derTat
eine der herausragenden Leistungen des Films. Damit wird die Dichotomie der gegeneinander kämp-
346
Das stumme
fenden Seiten nicht nur besonders deutlich (auf der
Seite Dans, Chariies und Alisons steht ja eher
Emotionsmix -vor allem aber Unsicherheit über den
eigenen emotionalen Haushalt), die Konfrontation
der (unnatürlichen) reinen Emotion mit der
menschlichen) gemischten,
wie
ist. Und dennoch will ich mich der
Marcos' nicht vollständig anschließen, denn da ist
immer noch eine sehrtiefe Tragik in der Darstellung
des Mörders. Die wird, wie ich oben schon geschrieschuldigkeit, sondern vor allem
stets
leidvollen Gesichtsausdruck der Figur deutlich. Insofern ist der Kampf, den Dan gegen den Killer anstrengt, für mich auch wesentlich ambivalenter, als
er oft in Slasher-Filmen dargestellt wird. Wen Dan
hier am Ende ins Jenseits befördert (bzw. um mal
einer ganz kruden psychoanalytischen Topik, die bei
der Konzeption solcher Drehbücher aber immer eine
Rolle gespielt hat, das Wort zu reden: zurück ins
"Unterbewusstsein" kickt}, ist gar nicht so klar.
Er selbst, das hatten wir ja schon festgestellt, ist
komplexer gezeichnet als Chuck-Norris-Figuren es
zumeist sind. Er ist kein Stellvertreter des unbedingt
"Guten", sont:lern eher ein "Normopath"; sein
Kampf gegen Kirby- so könnte
ist auch ein Kampf gegen
nen, die sich in DAS STUMME UNGEHEUER ja
347
Inneren
Der
...,.,,..,. ......... Lセ@ .... entladen und total sind
der Wirt
die Frau
von Dan ja ver-
schont zu werden). Eine derartige Lektüre der FilmZustände ist
halbwegs
immer
gegen etwas in
der
Serienmörder ist die sichtbar geworden Abspaltung
rtoccon
Das ist ein
der sich im Film noir ent-
wickelt hat. Ich möchte aber noch einmal auf eine
chen
weil mir
einerseits
ョエZhセヲG|イャANcゥ@
am Herzen liegen und andererseits, weil ich diese
spezielle Szene erst beim erneuten Gucken in ihrer
unglaublichen Affektivität wiederentdeckt habe:
Ungefähr bei Minute 59 (ich beziehe mich auf die
deutsche VHS), nachdem Kirby den Arzt ermordet
hat und dessen Frau auf den Dachboden geflohen
ist, versteckt sich Kirby hinter der offenen Tür zu
diesem Dachboden.
Als die Frau meint, die Luft sei rein und den Dachboden verlässt, wird sie von Kirby erwischt, als dieser die Dachbodentür schließt. Er greift der Frau von
hinten ins Gesicht und schleudert sie mit voller
Wucht mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Die Inszenierung dieses Mordes ist unglaublich intensiv.
Die Kamera fährt in derselben Geschwindigkeit, wie
Kirby ihren Schädel gegen die Wand schmettert, hin-
348
Das stumme
terher. Interessant scheint mir nun
otnorcco
das Böse hier nicht mehr hinter einer
nen, sondern hinter einer offenen Tür lauert und
andererseits, dass wir in den Rollen des
Zuschauers und des Täters cr•o•rn,'7c"TII"1 ste1cken:
wissen zuerst
dass
und werden zusammen
fallen, als er die Tür schließt, bekommen wir ihn zu
sehen, während
Frau ihn nicht
-unsere
teiligung wird vom geschockten Opfer zum Mitwisder
im selben
werden wir schließlich zum Mittäter: Unser Blick
presst sozusagen noch nach. Habt ihr die Szene in
Erinnerung? Wie hat die auf euch gewirkt?
Oliver:
Ja, diese Szene hat auch bei mir eine ziemlich starke
Wirkung hinterlassen. Meiner Meinung nach ist das
tatsächlich die beste Tür-Szene des Films: zum einen
wegen ihrer enormen filmischen Präzision, in der
dort der Schock (der Killer, der plötzlich hinter der
offenen Tür zum Vorschein kommt) und die "Auflösung" (das Opfer wird ermordet) in einem Bruchteil
von Sekunden ineinanderfließen, zum anderen, weil
dort eine clevere Umdeutung des Tür-Bildes vorgenommen wird, wie Stefan ja schon erwähnt hat. Da
wird äußerst geschickt mit
349
Der Feind im Inneren
Ich möchte aber gern auch noch etwas zur tragischen
Kirbys sagen. Auch ich habe ihn so
empfunden. Er ist ja gleich in zweierlei Hinsicht ein
Gefangener im eigenen Körper: Schon zu Beginn,
wenn er seinem Doktor am Telefon um Hilfe anfleht
und sagt
losing itu- eine
auf den
trifft - und förmlich
die den
einem
Stadium der Wut einfriert, verliert Kirby den Kampf
gegen die in ihm aufwallenden Emotionen- noch ist
er aber "nur{/ ein Kranker mit einer zumindest hypoaber von den Wissenschaftlern noch einmal konserviert und dramatisiert, indem sie es ihm unmöglich
machen zu sterben. Kirby ist gezwungen im Zustand
der äußersten unkontrollierbaren Wut zu verharren.
ln dieser Eigenschaft hat er eine Menge mit den Untaten des gesellschaftskritischen Zombiekinos eines
Romero gemein. Vor diesem Hintergrund erscheint
Kirbys telefonischer Hilferuf zu Beginn geradezu als
Äquivalent zur Bitte des Infizierten, ihn mit einem
Kopfschuss zu erlösen. Deswegen ist auch das für
jeden Genrekenner eigentlich vorhersehbare und
wenig originelleshock ending so effektiv: nicht, weil
der von Kirby ausgehende Terror sich fortsetzen und
weitere Opfer finden wird, sondern weil es für diese
Figur keine Erlösung gibt. Die Deutung des Brunnens
als Buョエ・イ「キオウセL@
in dass das Böse verdrängt
wird, mag durchaus vulgärpsychologisch sein. Aber
das passt ja auch wieder ganz gut zu diesem Film.
350
Das stumme
Kirby wird auf jeden Fall in seinem Brunnenschacht
lauern, bis sich für ihn eine Möglichkeit
der hervorzubrechen ... Wenn man Dan und Kirby
das
als Spiegelfiguren begreift, wie
schlägt, so muss man unbedingt auch den
Charlie in diese
Auch
und mit dem
ja ein Verwandter
Intellekt eines Kleinkindes ausgestattet, das in einem adipösen Leib beheimatet ist. Dass dieser Minderbemittelte zum Hilfssheriffwerden konnte, wird
schlachtet, sondern entwickelt ebenfalls höchstens
eine tragikomische Note.
Marcos: Absolut! Gerade die von naiver Brutalität erfüllte
Geschichte des Deputys und Stevens lakonisches Lächeln lassen die überall schwellende Aggression
spüren. Die Tragik Kirbys hingegen ist ja gerade bzw.
muss ein essenzieller Bestandteil der figurierten
Emotion sein. Nur ein menschliches Wesen ist in der
Lage, solcherlei Gefühle zu erwecken und im Umkehrschluss ebenso selbst zu empfinden. Da es sich
bei der von Kirby empfundenen Wut um eine Emotion handelt, die den reflexiven Selbstbezug benötigt, um überhaupt als solche deklariert werden zu
können, muss
セイ「ケ@
Mensch sein. Er ist den Prozes-
seninseinem Inneren aw;e:euer·err wie während
Telefonats deutlich wird,
ne Medikamentierung
351
sie
Der Feind im inneren
dieser
die destruktive Wut unterdrüum sich und andere zu
muss Sympathien wecken bzw. Mitleid für Kirby
Bei einer
wie Jason
Voorhees wäre dies undenkbar. Weiterhin"""'""'"+ . . . セM^K@
sich Wut als Basisemotion nicht nur als
dene
terminante eines über Jahrtausende entstandenen
prc>zesses, die von allen Basisemotionen
neben der Furcht die höchste Überlebenschance
niederen
i.ff"HJ'nii"H/Chn
teme die Funktionen des Körpers, Adrenalin und
Noradrenalin werden verstärkt ausgeschüttet, der
Körper wird schmerzunempfindlicher, es kann mehr
Kraft mobilisiert werden, das logische Denken ist
vermindert.
Und hier liegt nun die größte Furcht: der Kontrollverlust, brillant von Libby zu Beginn in seinem Mienenspiel widergegeben. Wenn dies geschieht, übernehmen Mechanismen aus der Urzeit die Führung,
was zu Verhaltenweisen führt, zu denen unsere Persönlichkeit keinen Bezug aufbauen kann, da sie sich
in der Regel unserem Bewusstsein entziehen. Hier
haben wir nun einen tatsächlich greifbaren Brückenschlag, für die bei Filmanalysen oft verwaschene Interpretation vom Unbewussten, denn, wenn wir
keinen
Willen mehr haben und die einfache-
352
Das stumme
ren, genetisch festgelegten Determinanten die Kontrolle haben, kommt es zu einem
chaisch Animalische. Die "Bestie Mensch", der Fall in
den Urschlamm, dem wir entstammen. Dies
die Tragik Kirbys dann auf die
Freundin
Zimmer seines
drängt- der Wissenschaftler liegt als
Vater Kirbys tot
ner Mischung aus Lüsternheit und
ten auf sie zu. Wie
schon
ni-llrYuv,lirlhut:J
verharrt
Kirby durch die Experimente der Wissenschaftler,
von außen abgestumpft und emotionslos erscheinend, im Zustand der Wut, die ihn, ganz im evolutionären Sinne, töten lassen muss, um zu Überleben.
Doch der Sexualtrieb, noch substruktureller als die
Basisemotion Wut, schafft, dies bei Stevens Freundin außer Kraft zu setzen.
Kirby möchte sie ganz offensichtlich begatten. Dem
muss von Seiten Stevens Einhalt geboten werden.
Stevens und Kirby, was Stefan schon meinte, trennt
nicht viel außer der hauchdünnen Trennlinie, die das
Mäntelchen Zivilisation anbietet. Stevens hat adäquate Möglichka.jten gefunden, seine Wut nicht nur
zu kanalisieren, sondern auch
nutzbar zu machen. Er
.....,.,.,.,.,.,.,.... zu Gewalt
353
sich und
Der Feind im Inneren
der Arbeit
er beherrscht hervorragend eine
die zu den größten
einer asiatischen Hochkultur zählt, er hat sexuelle
Ausstrahlungskraft und die lang gefilmte Liebesszene zwischen seiner Freundin und ihm macht deutlich, dass er seinen Trieb sowohl ausgiebig
gen kann und
sogar noch
naT ... aru_
für seine
Partnerin ist.
Stevens hat seine Wut in den Dienst der Gesellschaft
stellen können, womit er stereotyp für alle Hauptfiwird.
guren des
versuchte Norris
bis MCQUADE DER WOLF ja auch noch als Liebhaber
aufzubauen, was aber nach MISSING IN ACTION eingestellt wurde.) Das Türenmotiv funktioniert als Symbol für die unterdrückende Zivilisation. Die Tür, eine
Erfindung der Zivilisation und in ihrer rechtwinkligen
Konzeption, ihrem Schließmechanismus und ihrer
passgenauen Form äußerst unnatürlich, versucht
draußen oder eben eher drinnen zu behalten, was
nicht rauskommen darf und wovor der Mensch die
größte Angst hat.
Ein Verlust von Kontrolle und ein Rückfall in archaische Determinationskonzepte, doch hinter jeder
Tür, egal wie viele wir noch dazwischen glaubten,
oder hinter uns geschlossen hatten, kann es uns
einholen. Die Angst vor dem ES, dem Unbewussten
oder wie man es auch immer nennen möchte, erhält
hier plötzlich etwas ganz Konkretes. Mit ähnlicher
354
Das stumme
Geschwindigkeit wie das Zentralnervensystem die
Wut entstehen lässt, wogegen komplexes rationales
Denken im Sekundenbereich geradezu langsam
wirkt, rasen wir mit der Kamera und dem
weiblichen Mordopfers auf die Wand zu. Eine
drängung Kirbys kann somit nicht durch
kämmliehe Tür
sondern er muss auch
wörtlichen Sinne in die tiefsten Tiefen verbannt
werden. Die Ausführungen zur Basisemotion machen deutlich, dass es sich damit keinesfalls um eine
fig bemühte, Metapher handelt, sondern um den
verzweifelten Versuch des Menschen an sich, seine
ihm unliebsamen Emotionen und die mit ihnen einhergehenden Konsequenzen zu unterdrücken. Dies
geht folgerichtig nie lange gut.
Stefan:
Deine kulturhistorische, anthropologische Deutung
des Türmotivs ist bestechend! (Ich muss direkt an
einen Essay Peter Handkes über Türschwellen denken.) Ich nehme die beiden bislang von mir nur marginal berücksichtigten Figuren(gruppen) am Schluss
doch noch einmal auf, weil Oliver sie in Erinnerung
gerufen hat: der dicke Talpatsch Charlie und die
Mad Scientists. Man muss ja schon beinahe von einem logischen iruch reden, wenn man mit denen
konfrontiert wird: ein
1-l•lt·cc-r•.::a·t·li"
die Lage richtig einschätzt und
dazu hat, seinen
355
der zu keiner
nicht das
Der Feind im Inneren
ist oral fixiert
bis hin
dem Funk-
Gespräch, wo er von den ihm gezeigten Brüsten auf
Liebe
und bringt Dan
in
Si-
tuationen.
borebenfalls in dieser Kleinstadt situiert ist ( !),
im Prinzip sein Pendant- nur in einem anderen System: Er im Rechtssystem, sie im Wissenschaftssystem. Sie können die
Handeins
ßerhalb der ihnen durch ihren Beruf vorgegebenen
moralischen Normen und werden schließlich ebenso
Opfer ihrer Handlungen. Bezeichnend sind hier die
beiden Sterbeszenen in der Klinik: Charlie stirbt, als
er erkennt, was seine Aufgabe ist, ohne ihr gewachsen zu sein; Paul stirbt, als ihm klar wird, was seine
Aufgabe gewesen wäre. Innerhalb einer strukturalistischen Interpretation der Kleinstadt als funktionalisierter Raum der Psychogenese und der Figuren als
Archetypen für isolierte Charakterzüge stecken
Charlie und die Wissenschaftler die Außengrenzen
der Normalität ab.
Ihr Sterben restituiert die Ordnung und in der Mitte
stehen
wie ich oben schon angedeutet habe- die
beiden Achsen: Dan und Kirby als Antipoden, die zueinander finden müssen. Das ist eigentlich eine typische Monsterfilm-Struktur. DAS STUMME UNGEHEUER
356
Das stumme
ist in dieser Hinsicht für mich ein ganz typischer
Monsterfilm, der sehr souverän mit dem Motivin-
ventar umzugehen weiß. Er ist jedoch keineswegs
gewöhnlich- und das
an der
den Darstellern und vor allem an dem
Zusammentreffen uo!•crl"\101"101'"\on
{21.05.2007}
357
Deadly Force
USA 1983
Regie:
Drehbuch:
Kamera:
Paul Aaron
Ken Barnett, Robert Vincent O'Neill, Barry Schneider
John Kranhouse, Norman
David Myers
s.
Eddie Cooper
Joshua Adams
Sam Goodwin
Ashley Maynard
Joycelngalls
PauiShenar
Al Ruscio
Arien Dean Snyder
Kampf der Asozialen
Der ehemalige Polizist des LAPD und jetzige New Yorker,
Stoney Cooper, wird von einem Freund Sam an seine alte Wirkungsstätte gerufen. Dort treibt ein Serienmörder sein Unwesen, auf dessen Konto auch der Tod von Sams Tochter geht.
Cooper, der sich als bewaffneter Problemlöser seinen Unterhalt verdient, reist sofort an die Westküste, wo er auch gleich
Kontakt zu seiner Exfrau Eddie aufnimmt. Eddie ist aber nicht
die einzige, die Stoneys Rückkehr mit gemischten Gefühlen
entgegensieht: Sowohl Polizei als auch Mafia sind wenig begeistert davon, dass der unbequeme Kerl sich auf ihrem Territorium herumtreibt ...
Oliver:
Vorhang auf für Wings Hauser, einen der meistbeschäftigten B-Action-Film-Helden der 80er. Sein expressives Gesicht mit den markanten Zügen prädestinierte ihn für die etwas zwiespältigen Charaktere-
384
seine Filmegrafie wird von vereinzelten Schurkenrollen aufgelockert- und einen solchen
im vorliegenden Film. TODESSCHWADRON ist
schees und Versatzstücke ab, die das { nl'1-hPnlrP
bieten hat. Innerhalb unseres Serienkiller-Blocks
bringt TODESSCHWADRON zudem nur wenige Er-
flächlich abhandelt.
Marcos: Eigentlich sollte der Film ja innerhalb einer noch
folgenden Wings-Hauser-Reihe besprochen
doch als Oliver und ich uns über Actionfilme mit Serienkillerbezug Gedanken gemacht hatten, fiel mir
sofort dieser Streifen ein, da er ein herrliches Beispiel dafür ist, wie das Genre die Serienkillerthematik aufs Äußerste instrumentalisieren kann, ohne
auch nur noch im Entferntesten etwas mit den
Grundelementen zu tun zu haben. Mit anderen
Worten: TODESSCHWADRON ist so scheiße zum Quadrat, dass er schon wieder unterhaltsam wird. Das
Drehbuch lässt,puch nicht eine stereotype Situation
des Cop-Genres aus und
385
der Asozialen
wie uns der Verleih und die Werbung glauben machen
los Angeles terrorisiert und die angeb-
liche Hauptstory darstellt, ist nur ein reiner Aufhänger, um eine der üblichen Einzelgänger-Storys abzuspulen.
Die
TODESSCHWADRON nicht neu- es ist sogar eher so,
dass dieser Tätertypus bereits bei seinem ersten
Auftauchen im Kino "missbraucht" wurde. Natürlich
dient er als Schauerfigur und als Figur, die das neue
nht:lh:::lat:ln an
Moderne .;:urnnr"\11
ist er als Zugabe zu Filmen wie Paul Lenis DAS
WACHSFIGURENKABINEn (1924), Pabsts DIE BÜCHSE
DER PANDORA (1929) oder Hitchcocks DER MIETER
(1927) ein Statthalter für jene neue Bedrohung, die
so fernab des erhabenen Schauers der Gothic Novel
viel realer für seine Zuschauer ist. Aber auch als
"narrativer Kitt" ist der Serienmörder, der damit ja
zu einer Art Schnittstellen-Figur zwischen den Epochen und Ästhetiken wird- immer wieder herangezogen worden. Das fängt bei Robert Siodmaks
PIEGES (1939) an - quasi ein Episodenfilm, in dem
eine Tänzerin als verdeckte Polizeiermittlerin einen
Frauenmörder sucht und auf ihrem Weg allerlei
kleine und große Gaunereien aufdeckt (und schließlich Maurice Chevalier heiratet). Wäre nicht der
Frauenmörder, der dem Film sein Thema (immer
wieder) vorgibt, zerfiele PIEGES in eine Hand voll
386
Todesschwadron
Kurzfilme. Am Ende dieser Entwicklung stehen dann
solche Filme wie TODESSCHWADRON.
ein
Polizeifilm, dient der Serienmörder hier nicht nur als
Anreiz der Aktion für die verschiedenen
und als Kondensationspunkt ihrer Konflikte
nander, er ist nicht einmal
die ganze Zeit
wird.
wirklich einigermaßen stupide daherkommt, kann
man an ihm dennoch sehr schön die Thematisierung
der Serienmörder-lnstrumentalisierung unterstellen.
Wie
das
dass der Täter kein
Mo-
tiv hat! Er hat ja nicht einmal eine Handschrift und
einen Modus operandi. Er muss in seine Opfer- die
Männerund Frauen sind, die erschossen, erstochen
oder einfach aus dem Fenster geworfen werden sogar ein "x" ritzen, damit die Polizei überhaupt auf
die Idee eines Zusammenhangs kommt. Dass der Serienmord hier also nur als sog. Verdeckungstat für
einen von langer Hand geplanten Rachefeldzug
dient, ist eine pointierte Umkehrung des Normalfalles (wenn man sich einmal anschaut, was die HENRYFigur nur wenige Jahre später in John McNaughtons
gleichnamigem Film für einen Aufwand betreibt, um
genau das Gegenteil zu erreichen).
Oliver:
Diesen Aufwand betreibt der
des Killers jedoch zu keiner
doch sehr augenfällig, dass
387
teresses hier
eigentlich im gesamten Genre des
der Polizist- bzw. in
Ex-
Polizist- Stoney Cooper ist. Dass es sich beim vermeintlichen Bösewicht um einen Serienkiller handelt, wird lediglich behauptet, aber kaum durch Bil-
ren zu verwischen, dann hat das mit dem von inneren,
Zwängen bestimmten Seri-
enkillerdasein rein gar nichts zu tun, sondern kommt
gleich. Der aus der Handlung heraus kaum motivierte Auftritt von Paul Shenar als Selbstfindungsguru
Joshua Adams zerstört den kläglichen Rest von
Spannung, weil man ihn nach dessen Rolle in Brian
De Palmas SCARFACE sofort als eigentlichen Schurken
des Films zu enttarnen weiß.
Marcos: Ich bin damals bei erstmaliger Betrachtung voll darauf reingefallen, da ich Shenar nicht zuordnen
konnte. Übrigens ein Top-Schauspieler, der leider
viel zu früh an Aids verstorben ist. Doch um mal den
Faden der von Stefan so schön erwähnten Beispiele
aufzunehmen, ist das Bemerkenswerte an TODESSCHWADRON gerade seine absolut plagiierende Hül-
le. Geradezu dreist bedienen sich die Drehbuchautoren bei der gesamten Filmgeschichte und schaffen
es nicht die einzelnen, losen Stationen, die
388
Coopers Unschlagbarkeit illustrieren sollen, tatsächlich zu einem sinnvollen Ganzen
Barnett, O'Neill und Schneider waren, ähnlich wie
Regisseur Paul
tätig und das sieht man auf allen Ebenen. Die
tition der immer ョGioAィエZセ@
イ[LッョAエZl|jャ^BGィNcゥyセ@
einen
oP\,1\II'';;Pn
Filmes auslöst. Man muss sich über nichts
Ge-
danken machen und schaut einfach nur noch
Doch dieses Draufschauen erleichtert uns den Blick
Narration und
die Einzelgänger-Figur der 1970er Filthy-Cop-Movies
in das neue Jahrzehnt zu implementieren und man
macht aus ihm eine Art pubertären, superindividualistischen Alleskönner, dessen Unfähigkeit, innerhalb
der gesellschaftlichen Konventionen zu funktionieren, unfreiwillig selbstparodistisch auf die Spitze getrieben wird. Was bei DIRTY HARRY noch interpretiert
werden muss, ist bei Stoney Cooper, von Hauser
treffend verkörpert, offensichtlich: Er ist ein absoluter Soziopath.
Stefan:
Übrigens ein wie ich finde wichtiges Detail, was Oliver hier anspricht: die Rollenerwartung des Zuschauers bei bestimmten Besetzungen. Mirwar Paul
Shenar nicht als FilrnhiÖ<;FIWirht nr'::l!CQI'lT
l"'<r"\\Air\lrlll
SCARFACE natürlich
ten von TODESSCHWADRON
389
der Asozialen
hen würden, um den recht langweiligen und - ich
sage mal- nicht aus sich selbst heraus motivierten
Serienmörderfilm-Piot in die Gänge zu bringen, ist
überaus konsequent. Da gibt es Vorgänger, die das
ganz ähnlich gemacht haben, um Zuschauererwarzu erzeugen
von
Sanders
Serienmörderfilmen der 40er- und SOer-Jahre) oder
zu unterlaufen (Karlheinz Böhm in AUGEN DER
ANGST). ln TODESSCHWADRON ergänzt sich diese "Er-
formalästhetischen und diskursiven
die
den Zuschauer auf jeden Fall im Glauben lassen sollen, einen Serienmörderfilm zu sehen (auch oder
erst recht, weil er keiner ist). Dazu gehört auch eine
recht subtile Inszenierung von Authentizität, die aus
sicherlich unabsichtlich, aber überaus häufig sichtbaren Mikrofonen und Mikrogalgen am oberen Bildrand besteht (normalerweise werden solche Fehler
beim Beschneiden des Films auf das Kinoformat entfernt- in der 4:3-Fernsehfassung sind sie jedoch alle
enthalten und müssen aus filmwissenschaftlicher
Perspektive berücksichtigt werden).
Diese wären mir nicht so deutlich in den Sinn geraten, wenn es nicht die eine Szene gegeben hätte, die
genauso intensiv auf die Anwesenheit des kinematografischen
Apparates
hingewiesen
hätte:
Nachdem die Polizei ein neues Opfer des "X-
390
Todesschwadron
Mörders" gefunden hat, sieht man wie der Assistent
von Hoxley durch eine Meute Presseleute auf
Kamera zuläuft. Der Zuschauer wähnt sich in einer
neutralen Perspektive, doch als er das
bzw.
"unseren Blick" plötzlich packt und zur Seite
merken wir zum
dass wir in der
einer am Set anwesenden QMPABiGhZNセョカャ|Lッ@
zum anderen werden wir damit recht unsanft aus
unserer verborgenen Beobachterperspektive
sen. Ich will nicht behaupten, dass TODESSCHWADRON mit
sogar selbstreflexive Absicht verbindet- dazu hat
der Film ansonsten zu wenige solcher lntellektualismen zu bieten. Ich sehe darin aber eine deutliche
Wiederaufnahme ganz ähnlicher Strategien der
"medialen Demedialisierung" (Jan Berg), wie sie sich
in der gesamten Geschichte des Serienmörderfilms
finden.
Oliver:
Der Serienmord und der Voyeurismus hängen wohl
relativ eng zusammen: beim Täter selbst, der seinem Opfer beim Sterben zusieht- auf die Spitze getrieben im schon erwähnten AUGEN DER ANGST, in
dem sich Serienmörder Karlheinz Böhm ja gleich in
zweifacher Hinsicht zum Regisseur aufschwingt -,
aber eben auct:lc in der Rolle der schockiert (und
neugierig) teilnehmenden
Wir
ja beim letzten Film, EIN MANN WIE DYNAMIT,
darauf hingewiesen, wie der
391
der Asozialen
strumentalisiert wurde, das Volk
」イッ|LィャAセ]ュ@
in
"""'"""'""" ... Zustand der
der latenten Panik zu versetzen. Das funktioniert
deshalb so
weil der
eben keinen
Unterschied macht potenziell jeden treffen kann
enmord hat eine ähnliche Wirkung und Funktion wie
die öffentliche Hinrichtung: Er ist gleichzeitig Mahnung, aber auch und vor allem Zeichen der Macht.
Diese Macht
oョAGyャイBヲuZセ@
ist
was
viele Serienmörderfilme auf geniale Weise zu Eigen
machen, man denke etwa an die Hannibai-LecterReihe. Darin liegt aber auch das Problem dieser speziellen Konstellation für unser Genre: Ein Actionfilm
kann schwerlich zwei Helden auf entgegengesetzten
Seiten haben. TODESSCHWADRON weiß auf dieses
Problem nur eine Antwort: Der Killer darf als handelnde Figur nicht bzw. kaum vorkommen. Wir sehen ihn nur ein paar Mal -ein großer Unterschied
zu den beiden vorangegangenen Filmen. Damit gelingt es Aaron zu Beginn noch einigermaßen- unterstützt durch die von Stefan erwähnten Mittel- eine
Atmosphäre der Unruhe und Angst abzubilden
(wenn auch nicht auf den Zuschauer zu übertragen),
wenn dem Zuschauer dann jedoch die Auflösung
präsentiert wird, kann er das kaum anders denn als
Betrug empfinden, auch wenn die Zeichen- ich sage
392
nur: Shenar - deutlich erkennbar waren. TODESSCHWADRON erzählt im Grunde eine
schichte im Rahmen eines Actioners. Damit meine
ich, dass die Enttarnung des Killers und seines
renPlanseigentlich klassischerweise
und
müsste.
Aaron
Holmes•scher Brillanz die Mittel des
Killer offenbart
selbst und führt
Der
mit ei-
ner Verfolgungsjagd zum ZieL Letzten Endes verrät
man im Film gar
sieht.
Marcos: Die Darstellung und gleichzeitige Thematisierung
medialer Strukturen ist im Serien killer-Film seit jeher ein wichtiges Thema gewesen, nehmen diese
Killer doch durch die Medien für den Bürger überhaupt erst Gestalt an. Sie bieten aufgrundihrer psychischen Disposition ein dankbares Feld für reißerische Berichterstattung und Fehlinformationen, die
im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts kaum zu
einem wirklich tieferen Verständnis für die seelischen Abgründe geführt haben, die der Geist dieser
Täter offeriert. Somit geht TODESSCHWADRON einen
ähnlichen Weg wie EIN MANN WIE DYNAMIT in einer
Dekade, wo eine, Ästhetik der Oberflächen die narzisstischen Spiegelungen von オ」M・ャG|ョゥイ[ッセOQyA⦅@
sionen wiedergab,
nicht
der Dimension
393
der Asozialen
vom Fühlbaren hin zu einer neuen Synthetik des
1\/!C)ncrn<:CHf"IC ist ein elementares
den Verlust seiner Identität in den 1980ern. Thompsons Film ist, nicht zuletzt durch die Musik Robert 0.
Raglands und den Schnitt von Thompson Sohn Peein minimaler Versuch, diese Ästhetik durch Bild
und Ton
Aaron
hier
und
somit ist TODESSCHWADRON zwar immer noch ein
Vertreter des 80er-Kinos, aber vollkommen roh.
Obwohl die Grobkörnigkeit der Bilder und der ungethentizität vermitteln, ist der Film im Distanzaufbau
in seiner Zeit gefangen. Nicht nur, dass der Killer innerhalb der Diegese kaum zu sehen ist und die Presse in ihrer Berichterstattung von Hoxleys Assistenten L6pez behindert wird, indem er die Kamera
wegdrückt, nein, auch der Zuschauer im Kino
scheint durch die von Stefan erwähnte Aktion vom
Geschehen völlig weggedrückt zu werden. Dies
macht den Raum frei für Stoney Cooper. Exemplarisch für die Reagan-Ära soll dem Bürger das Abgründige, "das Böse
11
,
nicht zu Nahe kommen und
der Held muss entsprechend charakterisiert werden,
damit er als Verbrechensbekämpfer glaubwürdig erscheint. Und genau hier atmet der Film noch den
Geist der 1970er, denn den Ordnungsmächten ist
nicht mehr zu trauen und Stoney ist der von allen
Behörden unabhängige Einzelgänger. Das nicht
mehr ganz zeitgemäße Auf-die-Spitze-Treiben der
394
r
Todesschwadron
Eigenschaften dieses Soziopathen führt schlussendlich dazu, das die Behauptung, man würde keinen
Serienkiller im Film sehen, ad absurdum führt. Der
eigentliche Serienkiller ist nämlich ''n'''"""
der sich durch den Film arbeitet, während er Andere
einschüchtert, zusammenschlägt oder tötet und
bei vor keiner asozialen
v・Qᄋィ。ャエAョウカセZ[@
11
schreckt (vgl. Soziopathie"). Als hätten die Macher
doch einen Hauch verstanden, wird uns dies mit
dem Monolog Joshua Adams vorgeführt, der Stoney
fragt, ob er nicht auch die Erregung kennt, wenn
man jemanden tötet und ob er, Stoney, 10, 20, oder
vielleicht doch noch viel mehr Menschen getötet hat
als der X-Mörder.
Stefan:
Wo du es gerade schon ansprichst: Vielleicht sollten
wir zum Schluss noch mal einen Blick auf Stoney
werfen. Es ist ja sehr deutlich, dass der Film fast
vollständig um diese Figur herum konzipiert ist. Aber
ist das ein "typischer Bulle{/ im 80er-JahreActionkino? Ich war ja einigermaßen hin- und hergerissen von der Darstellung Wings Hausers und vor allem von seinem Mut ständig zwischen an Trash
grenzende Selbstinszenierung als abgebrühter Actionheld und eitler schon beinahe homophilen, dann
auch verletzlichen Darstellung
tuationen). Als ich den
hen hatte, war
395
Gurke: die inkonsequente Serienmörder-Erzählung,
die
mit dem
und die ziemlich blassen Figuren. Dann wurde er
, was vor allem
Nachdenken jedoch
an Stoney Cooper lag. Man denke da an die uner den Mafia-Boss
mit einer
im
Er
pennt, sie schaut einen Lesben-Porno und Cooper
sich da reinzubringen,
er mit
halb Schlafenden einen überaus witzig inszenierten
Oder jene Szene, als Cooper es aus mir unerfindlichen Gründen schafft, seine Exfrau wieder zu sich
ins Bett zu bekommen (allein, indem er sich da reinlegt, und schlafend auf ihre Rückkehr nach Hause
wartet- was sie dann auch gleich als Aufforderung
richtig interpretiert). Da gibt es eine Draufsicht auf
das liebende Paar, die wohl einen der besten männlichen ass-shots des 80er-Actionfilms liefern dürfte.
Getoppt wird der nur noch durch den Überfall in der
Badewanne, wo man Cooper, der unter Beschuss
eines Heckenschützen steht, nackt durch die Wohnung hechten sieht. (Es ging das Gerücht, dass
Wings Hauser sein bestes Teil hier mit einer Socke
verdeckt haben soll. Detailanalysen meinerseits haben ergeben: Es müsste schon eine ziemlich kleine
Socke gewesen sein. :-D). Was also ist Stoney
396
Cooper für ein Held, der sich so derart
Blöße
gibt?
Oliver:
Ich versuche mal eine Antwort: in der
und Besetzung Coopers ist TODESSCHWADRON
unverkennbar reinster
L.ULIU""'
erscheint als eine Mischung aus einem in
Gosse aufgewachsenen Harry Callahan und dem ATeam in Personalunion -, so sehr unterscheidet er
sich in anderen Elementen von diesen: Man
seine
Films, mit der er geschickt sentimentalisiert wird.
Die Publikumsanbindung soll vor allem dadurch erreicht werden, dass Cooper konsequent als Loser
und damit als "einer von uns" gezeichnet wirdwird ganz deutlich als er mit dem verzweifelten Attentäter zu Beginn (einem gehörnten Ehemann, der
dem Beschläfer seiner Frau -seinem Chef- einen
explosiven Denkzettel verpassen will) einen Deal
aushandelt und ihm einen Teil seiner Bezahlung zukommen lässt.
Die von Stefan sehr schön geschilderten Demütigungen durch die Inszenierung finden ihre Fortsetzung in der Gängelei durch die Ex-Kollegen, die Ma-
"'
und die eigene
ャ|ョイᄋMセ^
sich einfach nicht
nur umso bissiger.
sympathisch, auch wenn sie "'"''"'""'
397
0
...-.n
der Asozialen
an den Tag legen, die kaum akzeptabel sind.
Die
etwa, mit der er seiner Frau
nachsteigt, erinnert an einen Stalker: Man stelle sich
vor, wie Cooper uns in diesen Szenen erschiene, wäre der Film aus der Perspektive seiner Frau erzählt.
Dass die Verhaltensweisen seines Protagonisten sich
nicht gegen den Film
und allein
an der Bagatellisierung aller Handlungen Coopers:
Die Frau ändert ihre Meinung sehr schnell zugunsten Coopers, die Gängelei der Informanten dient
die
setzbuch beharrenden Polizisten sind uns aus zahlreichen anderen Filmen schon als die lahmen Bürokratenärsche bekannt, die jedem Ermittlungserfolg
im Weg stehen. Aber dass Hauser ein massiv psychopathisches Potenzial in sich trägt, haben auch
andere erkannt: ln dem 1989 entstandenen Slasherfilm THE CARPENTER spielt nämlich Hauser selbst den
Killer.
Marcos: Genau das faszinierte mich immer an ihm. Dieser
Hang zum Irrsinn. 1982 sollte der von Variety als
"Jack Nieholsen des C-Films" bezeichnete Hauser
nämlich seine erste größere Rolle spielen, die ihm zu
Bekanntheit verhalf. ln NACHTRATTEN gab er den misogynen Zuhälter Ramrod, mit schrecklich großem
Cobwboy-Hut und Schlangenlederstiefe in, der einen
zurechtgebogenen Drahtkleiderbügel in die ihm
nicht gehorchenden Prostituierten einführt. Direkt
398
Todesschwadron
im Anschluss kam TODESSCHWADRON, in DIE BLUTSPUR DES SATANS ist er ein Teufelspriester und mit
CL! NT HARRIS- MIT DEM RÜCKEN ZUR WAND hat er mit
seiner schizoiden Ausstrahlung
Actiongenre
reichert. Ein Darsteller, dem wir uns bestimmt
widmen werden.
399
Hero
Hero and the Terror
USA 1988
Regie:
Drehbuch:
Kamera:
Schnitt:
Musik:
Darsteller:
William Tannen
Dennis Shryack, Michael Blodgett
Eric Van Haren Norman
Christian Wagner
David Michael Frank
Chuck Norris
Brynn Thayer
Steve James
Jack O'Halloran
Ron O'Neal
Jeffrey Kramer
Danny O'Brien
Kay
Robinson
Sirnon Moon
Mayor
Dwight
Im Wendekreis des Norris
Es war mehr Glück als Verstand im Spiel als der Polizist O'Brien
vor einem Jahr den brutalen Serienmörder Sirnon Moon dingfest machte: Doch die Erleichterung der Bevölkerung war so
groß, dass man den Cop mit dem Spitznamen "Hero" auszeichnete- ein Name, der diesem wie Hohn vorkommt und ihn
immer wieder an die für ihn sehr glimpflich verlaujene Begegnung mit der Bestie erinnert. O'Brien ist mittlerweile wieder im
Alltag angekommen: Er ist mit seiner Psychotherapeutin liiert
und erwartet mit dieser ein Kind, als plötzlich die quälenden
Albträume wiederkehren. Und zeitgleich bricht Moon aus dem
Gefängnis aus und setzt seine Mordserie fort ...
Oliver:
Mit dem unsere Serienkiller-Serie abschließenden
HERO
widmen
wir
uns
erneut
dem
Ex-
Karateweltmeister Chuck Norris, zu dessen Spätwerk man diesen Film zählen muss. Mit 48 Jahren
402
Hero
hatte er ein Alter erreicht, in dem er sich langsam
über einen Imagewechsel Gedanken machen musste: HERO ist das Ergebnis dieser Überlegungen und
präsentiert einen zahmeren Chuck Norris, einen
Selbstzweifeln und Angst(!!!) ausgestatteten Durchschnittstypen, der ein zahmes Familienleben
seine Partnerin zum Essen
und
anträge macht. Um es vorwegzunehmen: Der Plan
ging nicht auf. HERO war kein großer Erfolg beschieden und mit dem Nachfolger DELTA FORCE 2 wanderte der
wieder
Tatsächlich ist HERO
vertrauten
iNjtセBcuG@
einen Norris-Fan
schwer zu schluckende Pille und- ich hoffe, Stefan
wird das bestätigen- auch als Serienkillerfilm völlig
unbrauchbar. Dennoch finde ich ihn hochgradig interessant und vor allem komisch: Es dürfte nur wenige Filme geben, deren Handlung so sehr von dem
Bemühen unterminiert wurde, den Helden in einem
neuen Licht erscheinen zu lassen. HERO wirkt wie
der Pilotfilm zu einer Fernsehserie, weil er die meiste Aufmerksamkeit dem Privatleben seiner Hauptfigur widmet, ohne diesen Aufwand letztlich in irgendeiner Form zu rechtfertigen.
Marcos: Somit ist der Film auch weniger aufgrund seines
versagenden dtamaturgischen Konzeptes interessant, sondern mehr als
lung der Figuren zu
hin verkörperte. Es ist ein
403
einer
lm
ben
Leben
Norris
und Hand-
taschenräubern beim Einkaufsbummel mehr per Zufall und gemütlich Zeitung lesend eins vor die Rübe
gibt. Die Krawall verbreitenden
Kommunisten イッ」ョオセ@
so nach und nach
ihr ..",c:.J,-'7,._..,
sellschaft. Selbst psychische Verwundbarkeit kann
コオセイ・RQpoョ@
\AIOrf"tC>Yl
und man stellt sich auch seinen
inneren Ängsten. Die Verortung in dem Jahrzehnt, in
zug in der
anzutreten
nach einem Albtraum erstmal das Stählen der Muckis. Entsprechend einfach die Zeichnung des Serienkillers Simon Moon, derwie ein demaskierter Leatherface wirkt und derartigen Filmfiguren nähersteht als einem Hannibal Lecter. Ähnlich wie in EIN
MANN WIE DYNAMIT wird mit einer Killer-Figur gear-
beitet, die jedweder psychologischen Grundlage
entbehrt, hier aber invertiert wird. Kein gutaussehender, verschlagener junger Mann, sondern eine
tierhafte Bestie; keine Jagd durch die Stadt, sondern
durch die verschlungenen Labyrinthe eines renovierten Filmtheaters, welches Simon Moon einst ein Zuhause war und von ihm nach seinem Ausbruch wieder als Domizil verwendet wird. Nicht sein Geist ist
komplex und muss von O'Brien erfasst bzw. durchdrungen werden, sondern der Komplex des Gebäu-
404
Hero
des muss es; sozusagen eine Extraversion
nerierten Psyche Moons.
Stefcm:
Ich habe den Film ja zwei Mal gesehen, weil
dem ersten Sehen nicht glauben
vru.... n'l"a
wirklich so schlecht ist, wie er aussah. Die
hat
weil
schlechter Chuck-Norris-Film ist. Sicherlich hat der
Streifen mit gewaltigen Problemen zu kämpfen. Da
steht an erster Stelle eine eigenartige Zeit-Unlogik:
Der Killer soll nach seinem Ausbruch in das
fe Kino gegangen sein, um sich dort "Monate
(O'Brien) zu verstecken; das Kino wurde dann aber
renoviert und er sucht sich dort einige seiner Opfer.
Das beißt sich mit der Tatsache, dass sein Ausbruch
und die Neueröffnung des Kinos ungefähr gleichzeitig stattfinden. Ich tendiere ja dazu, solche Unlogiken als Anlass für eine Oe-Realisierung bzw. strukturalistische Interpretation von Plot und Figuren zu
nehmen und habe versucht, den Killer daher mehr
als eine Metapher denn als manifeste Filmfigur
wahrzunehmen. Das hat mir- beim zweiten Sehensehr geholfen zu verstehen, warum einige andere
Figuren so dargestellt werden, wie sie dargestellt
werden. Allen vpran natürlich Danny O'Brien, der
den Absprung vom
zum
bürger, -Kollegen,
wilL
zeigt sich
405
Im Wendekreis des Norris
O'Briens - steht da als eine Altlast im Wege. Die
werden, damit das "Hero"-Kapitel in
muss
O'Briens Leben geschlossen werden kann. Das koinzidiert auch mit der sehr holzschnittartigen Zeichnung des Serienmörders. Sein Anstaltspsychiater
bezeichnet ihn ja als "Tier/(, das rein instinkthaft
und sähe in lieber
deutliches Sam-Loomis-Zitat aus HALLOWEEN). Der
Killer wird also als Anti-Prinzip zum Humanen inszeniert, aber auch zur zynischen Prosperität der
1980er-Jahre
durch den
und
noch ein-
mal eingehen- zur industriellen Überschwemmung
der Kultur mit gewaltdarstellenden Kinofiktionen:
Ähnlich wie in DAS PHANTOM DER OPER haben wir einen verunstalteten Mörder, der in den unbekannten
Innereien (passenderweise in einem RequisitenRaum) des Kinos lebt, von dort aus auf Beutezug
geht und dorthin seine Opfer verschleppt.
Oliver:
Die bisher genannten Aspekte lassen sich meines
Erachtens ganz gut vereinen, indem man HERO als
Allegorie auf die Filmpersona Norris und deren Rolle
im Leben seines Darstellers liest. Da haben wir den
Killer Moon, der nicht nur in seiner äußeren Gestaltung als gewaltiger Schatten ein Phantom ist, sondern auch strukturell: Er tritt kaum auf, man erfährt
fast nichts über ihn, sieht ihn immer nur kurz. Er ist
unübersehbar Repräsentant eines abstrakten Bösen.
406
Hero
Auch die Inszenierung seiner Auftritte fällt ja aus
dem sonstigen Rhythmus des
heraus.
der anderen Seite steht der "Normalo" O'Brien, der
unter seinem Image als sprichwörtlicher
leiden hat und mit dieser Rolle nichts mehr zu
haben will. Sein Versuch, sich von der traumatisch
。イZセョ」BGィエャ@
in
Moons
befreien, koinzidiert auf metafilmischer Ebene mit
einer Umdeutung von Norris' Filmperson, indem
man versucht, ihn von der stummen KampfmaschiSo wird HERO ganz plakativ zum Kampf seines Helden mit seiner Vergangenheit- ein klassisches NoirMotiv. Aber weil es kaum möglich ist, Norris von
seinen Filmfiguren zu trennen- seine mäßige Begabung befähigt ihn ja kaum dazu, einen anderen als
sich selbst darzustellen - erzählt HERO auch vom
Kampf seines Darstellers mit seiner eigenen Filmvergangenheit. HERO ist ein lupenreiner Metafilm, er
erzählt von den Umständen seines eigenen Werdens. ln diesem Zusammenhang finde ich auch den
Namen des Killers interessant: Moon. Man könnte
vielleicht sagen, der Auftritt des Killers löst eine ungewollte Verwandlung in O'Brien/Norris aus: Er
muss zur Bestie, zum Wolf werden -und in dieses
Bild passt ja auctf der wunderbar anachronistische
Vollbart vom alten Chuck, dem
Faust aufs Auge.
407
Wolf", wie
Im Wendekreis des Norris
Marcos: Der
wird von mir eher als Symbol der Reife
und Weisheit
was sich auch besser mit
dem Wunsch der Figur deckt, ein Familienleben zu
Die einsamen Wolfstage
ja eher hin-
ter ihm. Überhaupt entspricht der gesamte Film einer
der
im
80er. Man
dass die
doch in Ordnung ist. Die etwas betuliche Inszenierung des Films unterstreicht diesen Eindruck noch.
Infolgedessen muss man nun nicht mehr mit einer
mitden
im
Hafen sowie das Stellen des Taschendiebes durch
O'Brien haben schon eher etwas von Schulhofrangeleien an sich-, sondern kann ein paar Gänge zurückschalten. Probleme in der Gesellschaft interessieren
nur noch marginal, da man sich jetzt mehr in den
Privatbereich zurückzieht. Die Feminisierung der
Verhältnisse wird besonders schön durch Kay, die
Lebensgefährtin von O'Brien, hervorgehoben. Sie
stellt eine selbstbewusste Frau dar, die eigentlich
lieber unabhängig wäre und keinerlei Lust auf Kinder und Ehekäfig hat Nicht nur durch Brynn Thayers
schauspielerische Überlegenheit gegenüber Norris
wird deutlich, dass sie, wenn O'Brien seine Aufgabe
erfüllt hat und nach der Beseitigung Moons endgültig sesshaft wird, die Hosen im zukünftigen Haushalt
anhaben wird. Kay war seine Therapeutin, sie hat
den
Überhaupt ist die Einführung
408
Hero
der Psychotherapie in diesem Film interessant. Gerne als Teufelshandwerk im
(DER MANN OHNE GNADE) oder als lustige Einlage
dienend (man
an die
login in den LETHAL WEAPON-Filmen},
nicht nur
・クQセ[ョイ@
sondern kann sogar
Jedoch
se"-Gesetzen unterworfen. Als O'Brien Moons
Therapeuten fragt, was man machen kann, wenn
man seine Ängste nicht in den Griff bekommt, emp-
Stefcm:
Ja, was für ein Ratschlag. Dieser Psychiater
glaube nicht, dass das ein Psychologe ist) steht mit
seiner Hilflosigkeit psychischen Phänomenen gegenüber an der Seite der Psychotherapeutin, die
zwar den Wolf gezähmt hat, ihn aber nun nicht füttern will. Ihre Verzweiflung beim Geburtstagsdinner
ist einer der stärksten Momente des Films, weil sich
hier zeigt, wie unvorbereitet der Actionheld auf
Emotionen ist ("Das sind ganz schön viele Wünsche
für einen Geburtstag", quittiert er ihre existenzialen
Sorgen). Ich will aber gar nicht weiter das Strukturprinzip, das Oliver auf den Punkt gebracht hat, diskutieren, sondern auf ein anderes Phänomen der
Selbstreflexivität in HERO a•nrrot'\an
der Serienmörder-Narrationen
immer
409
Im Wendekreis des Norris
habe ihre "klaren Wesenszüge" mehr
und mehr verloren und Eigenschaften der anderen
Seite angenommen- zumindest aberVerletzbarkeit
gezeigt. Die Dialektik zwischen Verbrecher und Ermittler (die in ihrer diametralen Widersprüchlichkeit
ja immer schon mehr eine Behauptung
hat mit
ne aufzulösen, die Grenzen sind verwischt und heraus kamen dann solche Figuren wie Scagnetti in NATURAL BORN KILLERS und solche Killer wie in SILENCE
THE LAMBS
HERO
diese Aufspaltung noch einmal vor
die ange-
sprochene Inkompetenz gegenüber psychischen
"Problemen{( beim Psychiater und der Psychotherapeutin, die Traumatisierung des Helden und nicht
zuletzt die Unterschätzung der "Bestie". Denn Moon
ist ja keineswegs ein "instinktgeleitetes Tier", wie
sein Anstaltsarzt behauptet, sondern besitzt einiges
Talent für Verbrechensplanungen; angefangen beim
Missbrauch des Schleifpulvers und der Zahnseide
zum Durchsägen seiner Zellengitter über den Trick
mit dem abstürzenden Auto, in dem er (nicht) sitzt,
bis hin zur Anpassungsfähigkeit seiner Handschrift,
mit der er die Serienmard-Ermittler eine Zeitlang an
der Nase herumführt. O'Briens Suche nach dem Killer und seine Beseitigung sind so gesehen auch ein
verzweifelter und konservativer Versuch, das Genre
wieder zu "vereindeutlichen"- er wird abermals der
Held sein, der Killer wird wieder der Böse sein. Das
410
Hero
funktioniert aber nicht, denn wir Kinozuschauer
kennen die intimen Geheimnisse beider Seiten.
Oliver:
Absolut. Gerade weil es im Actionfilm und
(;:Qin.:::un
Vorläufer, dem Western, zur Konvention
dass der Held einen Teil des
セaョ、・イBL@
Bösen
ihn
gegen die Krankheitu, wie Stallone es als
"Cobra" Cobretti so schön auf den Punkt bringt -,
mutet HERO mit seinem gutbürgerlichen Helden geradezu I/falsch" an. Der vermeintliche Actionfilm ist
nämlich keiner, auch wenn
solchen hindeutet: der schlagkräftige Titel (im Original beschwört dieser ja sogar das Duell zwischen
den Kräften herauf), die programmatischen, sprechenden Namen der Hauptfiguren, "Hero" und" Terror", und Chuck Norris als Hauptdarsteller, der auf
dem Plakat bierernst und regungslos durch seine
Sonnenbrille stieren darf. Dieser O'Brien ist aber
kein Held im Sinne des Actionfilms. Deshalb muss
ich Marcos auch widersprechen: Kay musste O'Brien
gar nicht mehr domestizieren, weil dieser überhaupt
nie ein "Wolf" gewesen ist. Scherzhaft könnte man
das- um im Bild zu bleiben- auch an dem Schnäuzer festmachen, den er im Prolog anstelle des Vollbarts hat. Aber,".zurück zur Sache: Nur ein verschwindend geringer Teil von HERO lst mit dem
füllt, was dem Actionfilm seinen Namen
Aktion. Die
Norris
411
haben ja noch nicht einmal
mit dem
zu tun und wirken wie
nachträglich eingeklebt, um die Fans nicht völlig zu
Aber HERO
sein Genre auch
nicht völlig.
O'Brien die Mordmaschine Moon
packt und durch das Dach des Kinos in den Tod
schmeißt. Nicht zuletzt, weil es wie ein verspätetes
Echo des Finales von DAS STUMME UNGEHEUER anweil
gurgestärkt auferstehen kann, die vorher in psychologischen Zwistigkeiten gefangen war. Insofern ist
HERO ein echter Bastard: Auf der einen Seite macht
er nach den Menschmaschinen und Maschinenmenschen der mittleren 80er (an die Sirnon Moon mit
seiner beeindruckenden Physis gemahnt) Platz für
realistischere Figuren, auf der anderen Seite erfüllt
diese Substitution keinen anderen Zweck, als den
Helden durch die Hintertür wiedereinzuführen.
O'Brien/Norris völlig und endgültig in den Schoß der
Familie zurückkehren zu lassen, das hat sich Regisseur Tannen dann doch nicht getraut.
Marcos: Eben diese "Vereindeutlichung" ist es, die in einer
komplexer gewordenen Welt, eben der Welt, die
HERO zeichnet, und innerhalb der Kinomoderne
nicht
mehr
funktionieren
kann.
Die
Non-
Funktionalität der Extreme, die sich auch schon im
412
Hero
Film Noir in Auflösung von logischen Gut/BöseDichotomien befunden
drückt: das Eine schon immer ein Teil des Anderen
in sich trug, wird hier in eine neue Dimension
führt. Darum ist es eben nicht so, dass
zum Wolf werden muss, sondern dass er mit ca!I"\OIYY'\
haft dargestellt wird. Die Fehlerhaftigkeit
l\/lf"\,1"\nc
der eigentlich das Extrem des gesellschaftsschädigenden Elementes vertritt, ist für den Rezipienten
BGセ@
•.,.."" da
Doch
wie von Stefan erwähnt, noch ein logisch denkendes
Wesen. Dass wirklich neue an HERO, einem für die
späten 80er typischen Versuch den "familienfreundlichen Mordfilmu zu entwickeln, ist, dass
zu
Beginn die typische Norris-Figur mit ihrem in der
Vergangenheit
höchst erfolgreichen Verhalten
scheitert. Die Gesellschaft verlangt nicht mehr nach
schweigsamen Einzelgängern, die die Dinge selber
regeln, da sie die Dinge nicht regeln können.
Sie sind dem Anderen (Moon) mit ihrem Verhalten
nämlich zu nahegekommen und somit unterscheidet
sie nichts mehr. Der Fanatismus O'Briens, der dem
des Killers nicht 4,;nähnlich ist, lässt ihn, als sie sich zu
Beginn des Filmes Moons
Warnungen seines
kung ZU rufen, ICTni"\I'"IQI"Cin
413
Im Wendekreis
Norris
seine Weise durchziehen und verhält sich dabei wie
die uns bekannten
er scheitert.
Nicht etwa, weil es ihm an Entschlossenheit gemangelt hätte, sondern weil die Welt in HEROinzwischen
mehr verlangt als nur "Draufhauenu (auch wenn uns
der Werbeslogan anderes glauben machen möchte).
Die
0 1 Briens kulminiert in einem entsprechend unfreiwillig komischen Ende, welches O'Brien glücklicherweise für sich entscheidet. Wenn wir uns Norris' Figuren in
er-
kennen wir den edukativen Wandel vom der
rung den Rücken kehrenden, persönliche Frustrationen auf Feindesgebiet auslebenden Einzelgänger
(MISSING IN ACTION), über den der Regierung den Rücken kehrenden, aber die Heimat auf eigenem Boden verteidigendem Einzelgänger {INVASION U.S.A.),
den der Regierung zu Beginn den Rücken kehrenden, aber dann wieder sich in die militärische Gemeinschaft re-integrierenden Quasi-Einzelgänger
(DELTA FORCE), bis hin zu dem plötzlich mit dem
früheren Feind fusionierenden, mit ihm sogar eine
Familie gründenden Einzelgänger-Vater (BRADDOCKMISSING IN ACTION 111). ln HERO wird nun gleich zu Beginn klar, dass der vermeintliche Held mehr leisten
muss, als in früheren Zeiten nötig war. Die mangelnde Empathie gegenüber dem Feind führt nur zu
einer traumatischen Intrusion, O'Brien muss sich
414
Hero
dem Moon in sich selbst stellen und das kann er nur
mit Mitteln, die er vorher abqualifiziert
Die Fusion mit dem Anderen, die schon im
Teil von MISSING IN ACTION angedeutet wird, wird im
Endkampf mit Moon zu einer Absorption.
kann die
wächst über sich
und
legt den Wolf damit endgültig ab. Er absorbiert "das
Böse" und tötet Moon nicht, indem er ihm wie in alter Zeit körperlich überlegen ist, sondern weil er ihn
wie ein Profiler-er musste sich nur in die Gebäudestruktur denken - aufspüren konnte. Zu guter
Letzt wirft er Moon durch ein Dachfenster und kann
endgültig eine Familie haben.
Stefan:
Die von euch beiden erwähnte "Fallhöhe" im Finale,
mit deren "Überwindung" der Täter endgültig besiegt wird, erinnert mich an eine schöne Strukturinterpretation, die sich Terry Eagelton einmal ausgedacht hat und bei der er ein Märchen auf der Basis
der in seiner Erzählung dargestellten Oben-UntenDichotomien analysiert hat. Gerade in Bezug auf die
metaphorische Doppeldeutigkeit von "Fallhöhe" in
Bezug zur Erzählung in HERO und in Bezug auf die
moralischen "Höhenunterschiede" der Guten und
der Bösen im s・イヲセョュ、ゥャ@
taerzählung des
sich eine Me'-Ot'IOni'Y\n
Ich habe das mal
Dmytryks THE SNIPER
415
Im Wendekreis des Norrls
der Bildebene auch stets darum geht, Täter und
dasselbe Niveau zu
Damit wird na-
türlich nur verbildlicht, was eigentlich immer undar...... ,..,.,.,,r"
ist: der Wunsch nach
und Affektausgleich. Das lässt sich
UNGEHEUER genauso anwenden wie
DAS STUMME
HERO: ln
hen, die zeigen, wie Moon eine Leiter hinauf oder
hinabklettert, wie O'Brien nach oben zu einem Loch
in der Decke guckt und schließlich, wie Moon auf
den
THE SN IPER
ist dieses "Normale" allerdings selbst bereits beschädigt: O'Brien ist ja kein "normaler Bürger", sondern eine Art "Normopath", der seine Konflikte verdrängt, beziehungsunfähig ist und seine Rolle nicht
akzeptieren kann (genau genommen kann er nicht
mit seinem Erfolg, Moon schon einmal gefasst zu
haben, umgehen). Diese Art der "Normalität"
scheint der Status quo zu sein und sie ist auch viel
differenzierter dargestellt als die sonstigen "reinen
Figuren" des Actionfilms. Wenn ich in diese Erkenntnis nun, um zum Schluss meiner Überlegung
zu kommen, auch noch miteinbeziehe, dass Moon
eben nicht in irgendeinem Gebäude lebt, mordet
und schließlich stirbt, sondern in einem Kino, dann
lässt sich die Strukturanalyse auf einen Diskurs von
medialer Vermittlung von Gewalt, Normalität (bzw.
Heteronormativität)
416
medialer
Hero
Konstruktion von
wr•1r1cr·h
das
was uns die Film- und
geschichtsschreibung suggeriert.
Oliver:
Wenn man sich angesichts dieser
Deutungsmöglichkeiten nun
sich ist, ja sogar sein
ャ。イL」ョオエセ@
muss: Eigentlichkeit und Unei-
gentlichkeit durchdringen sich - nicht immer absichtlich, wie es scheint- und machen HERO
de
dass an ein Kino erinnernde Unbewusste Moons ist.
Die Verortung im Actionfilm, die Regisseur Tannen
nie ganz ablegen kann (oder darf), stellt dem im Film
eigentlich konsequent entwickelten Subtext letztlich
auch ein Bein- auch mir, der ich mich in meiner Interpretation zuvor etwas verrannt habe. Marcos hat
mit seinen Ausführungen zum Wölfischen O'Briens
und seiner Menschwerdung nämlich völlig Recht:
O'Brien kann Moon erst überwinden, nachdem er
sich seinen eigenen Unzulänglichkeiten gestellt hat
oder- um zur strukturalistischen Interpretation zurückzukommen - nachdem er die Regeln "seines"
Films gelernt hat, der in diesem Fall ein für ihn, Norris, völlig neuer ist. Die Weiterentwicklung des klassischen Actionhelden
sichtbar als sie 'I'Y\'"' 11 ""'"
Moons sowie
417
Im Wendekreis des Norris
iqtセイMョ@
hinter seine eigenen Erkenntnisse und in
die Strukturen des körperbetonten Actionfilms zurückfallen lassen: Die Beseitigung des Killers ist vor
allem ein Kraftakt. Kein Wunder, ist Moon doch seinen Schurkenkollegen etwa aus CITY COBRA oder
DAS STUMME UNGEHEUER ähnlich
und somit
einer
vor allem Körper
HERO
eigentlich hinter sich gelassen hat. Die Zeit war 1988
noch nicht reiffür HERO: 1990 kehrte die mittlerweile schwer angeschlagene Cannon mit ihrem ZugNorris
FORCE 2: THE COLOMBIAN CONNECTION mutet sogar
noch reduktionistischer an als Norris' Filme aus der
Prä-HERO-Phase. Dass der Versuch einer Neudefinition gescheitert war, lässt sich auch daran erkennen,
dass Biliy Drago dort wieder den Klischeebösewicht
ohne jegliche menschliche Regung spielen durfte,
nachdem man ihn in HERO gegen den Strich als Psychiater besetzt hatte.
Marcos: Genau. Diese Entwicklung wird in den folgenden
Filmen noch auf die Spitze getrieben, wenn es im
Grunde nur noch darum geht, Chuck Norris und die
Figuren, die er spielt, regelrecht mythologisch aufzuladen. ln HITMAN kehrt er nach sekundenlangem klinischem Tod ins Leben zurück und wird danach ein
anderer. ln HELLBOUND legt er sich als Polizist mit
Luzifer höchstpersönlich an und in FOREST WARRIOR
wird er schließlich zu einem Geist, der durch die
418
Hero
Wälder huscht. Sehr interessant finde ich auch
die von Stefan erwähnte Erhaltung eines Status
Diese Symmetriegedanken werden im Actiongenre
oft
durch
Konservativität
dadurch, einen Ausgleichszustand zu
0
""""'
0
'c'"'
dem jede Untat durch eine Tat 。オウ[ァ・セャゥ」Qョ@
muss. Dies ist einer der
warum
wicht im Actiongenre am Ende häufig durch eine Explosion umkommt. Was er vielen anderen angetan
hat, kommt jetzt tausendfach auf ihn zurück. Der
An dieser Stelle möchte ich Stefan sehr
die Zu-
sammenarbeit danken. Er hat unsere Gesprächsrunde mehr als bereichert und durch sein umfassendes
Wissen zum Thema die Grenzen eines solchen Blogs
aufgezeigt. Leider konnten wir nicht auf alles im Detail eingehen, dem ein oder anderen Leser aber vielleicht ein paar interessante Denkanstöße gegeben.
Stefan:
Ich habe zu danken! Denn der Serienmörderfilm der
1980er-Jahre ist in meiner Forschungsarbeit etwas
unterrepräsentiert gewesen. Das liegt vor allem daran, dass Film-Serienmörder zu jener Zeit vor allem
durch den so genannten "Siasherfilm" repräsentiert
wurden. Die nicht allzuvielen "echten" Serienmörderfilme H。ャウッセ」ィ・L@
in denen der Täter kein über-
natürliches Monster
sind
es mich gleich doppelt, dass
Iaren aufwarten GBセ@
419
Da
Im Wendekreis des Norris
Genre
stammen" Der Serienmörder-
film
bildet ja kein
ist
ein progressiver, fortlaufender Diskursstrang innerhalb der
verschiedener
Ihn
im Actionfilm der 1980er-Jahre auf diese Weise vertreten zu
「・セ[エ。QZhR@
hat
Thesen
Und eine Sehr ha••oir•harnrla 1-'IPfSDf'I<II\J'f'
mich eröffnet. Eines der von Beginn
I"'OI"'TIII">"\C
an tradierten
Serienmör-
zeigt
ei-
ne stete Verundeutlichung zwischen Gut und Böse/
in
Das
alle
fünf hier besprochenen Filme mehr als deutlich vorgeführt. Zudem bringt der Filmserienmörder auch
hier (s)ein festes Inventar an Darstellungskonventionen aus der Filmgeschichte mit, die in den besprochenen Filmen in seltener Reinheit zu sehen
sind; angefangen bei der Inszenierung des Täters
und seiner Taten als "Skandal der Vernunft({ bis hin
zu formalästhetischen Darstellungsweisen, narrativen Klischees oder Doppelkodierungen (bis hin zur
Selbstreflexivität, wie wir sie in HERO gesehen haben).
Eine für mich ganz neue Perspektive auf den Serienmörderfilm rührt vor allem aus der Konfrontation
des Filmtäters mit dem Actionhelden her: Hier zeigen sich Körperdarstellungen, wie sie sich im Serienmörderfilm zuvor nur sehr selten in
420
Klar-
Hero
heit finden. Der "Kampf" des Guten gegen
Böse/n kulminiert in diesen Filmen
allem denen
mit Chuck Norris) in einer Explizitheit, die selbst
deutlich
dem einfachsten
um weich eine Gefahr es sich beim Filmserienmörder handelt
dieser
allein
des
drohungsszenario, das sich gegen die Moderne an
sich richtet und das durch ihn im wahrsten Sinne
Wortes "verkörpert" wird, wie der Actionheld
gegen die sich das Serienmörder-Prinzip wendet.
Dass die Helden selten psychisch und/oder physisch
unbeschadet aus dieser Konfrontation hervorgehen,
zeigt, wie intelligent die hier betrachteten ActionSerienmörder-Filme auf der Sub- oder Meta-Ebene
eigentlich sind.
{08.10.2007}
421